Die bei einer deutschen Krankenkasse versicherte Klägerin war als Busfahrerin beschäftigt. Als sogenannte Grenzgängerin wohnte sie in Spanien und arbeitete in Deutschland.

Beklagte lehnt Krankengeldzahlung mit Hinweis auf Wohnsitz ab

Nach Ablauf der Entgeltfortzahlung für die Zeit ab dem 04.06.2011 zahlte ihr die Beklagte zunächst Krankengeld bis zum 26.10.2011. Der behandelnde Arzt bestätigte der Klägerin am 26.10.2011 fortlaufende Arbeitsunfähigkeit bis auf weiteres.


Die Beklagte bat die Klägerin, sich bis zum 23.11.2011 bei ihr telefonisch zu melden. Da die Klägerin dieser Bitte nicht nachkam, lehnte die Beklagte weitere Krankengeldzahlungen mit Bescheid vom 24.11.2011 ab diesem Tag ab.


Begründet wurde dies damit, dass sie der Bitte, sich bis zum 23.11.2011 zu melden, nicht nachgekommen sei. Überdies wurde die Einstellung der Krankengeldzahlungen wie folgt begründet:

  • „Sie informierten uns, dass Sie nach Spanien umgezogen sind. Ein Anspruch auf Krankengeld besteht in diesem Fall nicht mehr, da Sie nach § 16 SGB V nur Anspruch auf Leistungen haben, solange Sie sich in Deutschland aufhalten."

Sozialgericht folgt rechtsfehlerhafter Auffassung der Krankenkasse

Unabhängig von dem Wohnsitz in Spanien, so die Beklagte, fehle es auch an einer lückenlosen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit.


Der gegen die Beklagte gerichteten Klage der Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Trier war ebenfalls kein Erfolg beschieden.


Ebenso wie die beklagte Krankenkasse kam das SG zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ab dem 24.11.2011 keinen Anspruch auf Krankengeld mehr habe. Es könne offenbleiben, so die erstinstanzlichen Richter*innen, ob sie arbeitsunfähig krank gewesen sei. Denn ein etwaiger Anspruch sei durch den Wegzug aus Deutschland zum Ruhen gekommen.
Ob etwaige europarechtliche Bestimmungen bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind, hat soweit sichtlich, nicht einmal das SG Trier geprüft.

Anspruch auf weitere Krankengeldzahlungen ergibt sich aus EU-Recht

Der Auffassung der beklagten Krankenkasse und des SG Trier ist das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz nicht gefolgt.


Unter Beachtung europarechtlicher Bestimmungen kamen die Richter*innen des 5. Senats des LSG zu dem Ergebnis, dass die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum lückenlos ärztlich festgestellt sei.


Hierfür genüge die entsprechende Feststellung "bis auf weiteres". Eine solche ärztliche Feststellung gelte auch bei einem Auslandsaufenthalt weiter. Die Auffassung der Beklagten und des erstinstanzlichen Gerichts, wonach der Anspruch der Klägerin nach § 16 SGB V ausgeschlossen sei, sei rechtsfehlerhaft. EU-rechtlichen Bestimmungen gingen dieser Norm vor.


Nach Artikel 21 Absatz 1 der VERORDNUNG (EG) Nr. 883/2004 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 29. APRIL 2004, habe ein Versicherter, der in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohne oder sich dort aufhalte, Anspruch auf Geldleistungen. Diese Leistungen seien von dem zuständigen Träger, also der beklagten Krankenkasse, nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zu gewähren. Nach dieser Verordnung sei der Versicherte, obwohl er in einem anderen Staat wohne so zu stellen, als ob er im zuständigen Staat wohnen würde. Bei Wohnort und Aufenthaltsort in Deutschland wäre § 16 SGB V, entgegen der Auffassung der Beklagten und des erstinstanzlichen Gerichts, gerade nicht anwendbar.

Hier finden Sie das vollständige Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 06.07.2107 - L 5 KR 135/16

Das sagen wir dazu:

Nichtbeachtung europarechtlicher Bestimmungen keine Seltenheit!

Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist begrüßenswert.

Es fällt immer wieder auf, dass manchem bundesdeutschen Gericht die europarechtlichen Bestimmungen nicht bekannt sind, oder von diesen schlichtweg ignoriert werden, obwohl sie auch für sie bindend sind. 

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Entscheidung der Trierer Sozialrichter*innen, die offenkundig ohne weitere Prüfung, die Argumente der beklagten Krankenkasse übernommen haben. Und dies, obwohl § 16 SGB V in dem hier entschiedenen Fall gar keine Anwendung finden konnte.

Die Nichtbeachtung europarechtlicher Bestimmungen fällt nicht nur in der Sozialgerichtsbarkeit auf. Auch andere Fachgerichte, wie z. B. die Arbeitsgerichte, sind nicht immer frei von Entscheidungen, die das Europarecht unberücksichtigt lassen.

Richterliche Fortbildung könnte Abhilfe schaffen!

Wenn man sich mit den immer wieder auftauchenden Fehlentscheidungen befasst, kann man durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass es Sinn machen könnte, wenn man den „im Namen des Volkes“ urteilenden Richter*innen, Fortbildungsmöglichkeiten einräumt, um sich den europarechtlichen Bestimmungen vertraut zu machen, die in ihrem Fachgebiet Anwendung finden.

Rechtliche Grundlagen

§ 16 SGB V und Kernpunkte der Verordnung (EG) Nr. 883/2004

Sozialgesetzbuch (SGB) Fünftes Buch (V) - Gesetzliche Krankenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 20. Dezember 1988, BGBl. I S. 2477)

§ 16 Ruhen des Anspruchs

(1) Der Anspruch auf Leistungen ruht, solange Versicherte
1. sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist,
2. Dienst auf Grund einer gesetzlichen Dienstpflicht oder Dienstleistungen und Übungen nach dem Vierten Abschnitt des Soldatengesetzes leisten,
2a. in einem Wehrdienstverhältnis besonderer Art nach § 6 des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes stehen,
3. nach dienstrechtlichen Vorschriften Anspruch auf Heilfürsorge haben oder als Entwicklungshelfer Entwicklungsdienst leisten,
4. sich in Untersuchungshaft befinden, nach § 126a der Strafprozeßordnung einstweilen untergebracht sind oder gegen sie eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird, soweit die Versicherten als Gefangene Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz haben oder sonstige Gesundheitsfürsorge erhalten.
Satz 1 gilt nicht für den Anspruch auf Mutterschaftsgeld.
(2) Der Anspruch auf Leistungen ruht, soweit Versicherte gleichartige Leistungen von einem Träger der Unfallversicherung im Ausland erhalten.
(3) Der Anspruch auf Leistungen ruht, soweit durch das Seearbeitsgesetz für den Fall der Erkrankung oder Verletzung Vorsorge getroffen ist. Er ruht insbesondere, solange sich das Besatzungsmitglied an Bord des Schiffes oder auf der Reise befindet, es sei denn, das Besatzungsmitglied hat nach § 100 Absatz 1 des Seearbeitsgesetzes die Leistungen der Krankenkasse gewählt oder der Reeder hat das Besatzungsmitglied nach § 100 Absatz 2 des Seearbeitsgesetzes an die Krankenkasse verwiesen.
(3a) Der Anspruch auf Leistungen für nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Versicherte, die mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen, ruht nach näherer Bestimmung des § 16 Abs. 2 des Künstlersozialversicherungsgesetzes. Satz 1 gilt entsprechend für Mitglieder nach den Vorschriften dieses Buches, die mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen, ausgenommen sind Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach den §§ 25 und 26 und Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind; das Ruhen endet, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind. Ist eine wirksame Ratenzahlungsvereinbarung zu Stande gekommen, hat das Mitglied ab diesem Zeitpunkt wieder Anspruch auf Leistungen, solange die Raten vertragsgemäß entrichtet werden. Das Ruhen tritt nicht ein oder endet, wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches sind oder werden.
(4) Der Anspruch auf Krankengeld ruht nicht, solange sich Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der Krankenkasse im Ausland aufhalten.
(5) (weggefallen)

(1) Der Anspruch auf Leistungen ruht, solange Versicherte
1. sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist,
2. Dienst auf Grund einer gesetzlichen Dienstpflicht oder Dienstleistungen und Übungen nach dem Vierten Abschnitt des Soldatengesetzes leisten,
2a. in einem Wehrdienstverhältnis besonderer Art nach § 6 des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes stehen,
3. nach dienstrechtlichen Vorschriften Anspruch auf Heilfürsorge haben oder als Entwicklungshelfer Entwicklungsdienst leisten,
4. sich in Untersuchungshaft befinden, nach § 126a der Strafprozeßordnung einstweilen untergebracht sind oder gegen sie eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung vollzogen wird, soweit die Versicherten als Gefangene Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem Strafvollzugsgesetz haben oder sonstige Gesundheitsfürsorge erhalten.
Satz 1 gilt nicht für den Anspruch auf Mutterschaftsgeld.

(2) Der Anspruch auf Leistungen ruht, soweit Versicherte gleichartige Leistungen von einem Träger der Unfallversicherung im Ausland erhalten.

(3) Der Anspruch auf Leistungen ruht, soweit durch das Seearbeitsgesetz für den Fall der Erkrankung oder Verletzung Vorsorge getroffen ist. Er ruht insbesondere, solange sich das Besatzungsmitglied an Bord des Schiffes oder auf der Reise befindet, es sei denn, das Besatzungsmitglied hat nach § 100 Absatz 1 des Seearbeitsgesetzes die Leistungen der Krankenkasse gewählt oder der Reeder hat das Besatzungsmitglied nach § 100 Absatz 2 des Seearbeitsgesetzes an die Krankenkasse verwiesen.

(3a) Der Anspruch auf Leistungen für nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Versicherte, die mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen, ruht nach näherer Bestimmung des § 16 Abs. 2 des Künstlersozialversicherungsgesetzes. Satz 1 gilt entsprechend für Mitglieder nach den Vorschriften dieses Buches, die mit einem Betrag in Höhe von Beitragsanteilen für zwei Monate im Rückstand sind und trotz Mahnung nicht zahlen, ausgenommen sind Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten nach den §§ 25 und 26 und Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sowie bei Schwangerschaft und Mutterschaft erforderlich sind; das Ruhen endet, wenn alle rückständigen und die auf die Zeit des Ruhens entfallenden Beitragsanteile gezahlt sind. Ist eine wirksame Ratenzahlungsvereinbarung zu Stande gekommen, hat das Mitglied ab diesem Zeitpunkt wieder Anspruch auf Leistungen, solange die Raten vertragsgemäß entrichtet werden. Das Ruhen tritt nicht ein oder endet, wenn Versicherte hilfebedürftig im Sinne des Zweiten oder Zwölften Buches sind oder werden.

(4) Der Anspruch auf Krankengeld ruht nicht, solange sich Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der Krankenkasse im Ausland aufhalten.

(5) (weggefallen)



Unter diesem Link können Sie die „Kernpunkte“ der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 abrufen:

http://www.cep.eu/fileadmin/user_upload/cep.eu/Analysen/COM_2016_815_Koordinierung_sozialer_Sicherheit/cepAnalyse_COM_2016__815_Koordinierung_soziale_Sicherheit.pdf


Für besonders Interessierte!
Hier geht es zum vollständigen Text der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit:
http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:32004R0883R(01)