Keine Benachteiligung wegen der Behinderung
Keine Benachteiligung wegen der Behinderung

Der Kläger der am 13.10.2016 durch den Dritten Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entschiedenen Sache ist als Schwerbehinderter anerkannt. Seit Vollendung seines 60. Lebensjahres bezieht er eine gesetzliche Altersrente für Schwerbehinderte und eine Betriebsrente.

In der Vergangenheit war bei der Beklagten der ungekürzte Bezug der Betriebsrente möglich, wenn der Arbeitnehmer eine Vollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielt. Nach einer Änderung der Versorgungsordnung besteht weiterhin ein Anspruch auf Betriebsrente, wenn eine Vollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogen wird.

Als feste Altersgrenze wurde jedoch in der geänderten Fassung einheitlich die Vollendung des 65. Lebensjahres festgelegt und gleichzeitig bestimmt, dass für eine vorgezogene Inanspruchnahme der Betriebsrente ein versicherungsmathematischer Abschlag von 0,4 % pro Monat vorzunehmen ist, soweit die Anwartschaft auf Beschäftigungszeiten nach dem 1. Januar 1996 beruht. Im Sinne dieser Änderung kürzte die Beklagte die Betriebsrente des Klägers.

Bundesarbeitsgerich: Keine mittelbare oder unmittelbare Benachteiligung

In der Kürzung der Betriebsrente bei vorgezogener Inanspruchnahme liege keine gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßende Benachteiligung wegen einer Behinderung.
Denn, so die Richter*innen des Dritten Senats: Eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG scheidet aus, weil die Abschläge nicht an die Behinderteneigenschaft anknüpfen, da auch andere Arbeitnehmer früher in Rente gehen können.

Ebenso scheidet eine mittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG aus. Denn liegen die Voraussetzungen eines frühen Renteneintritts auch bei nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern vor, müssen diese ebenfalls Abschläge hinnehmen.

Soweit allein schwerbehinderte Menschen die gesetzliche und damit die Betriebsrente früher beanspruchen können, werden sie nicht gegenüber anderen Arbeitnehmern benachteiligt. Denn es kann keine anderen Arbeitnehmer geben, die zum selben Zeitpunkt eine Betriebsrente beziehen.

Landesarbeitsgericht muss Wahrung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit prüfen

Das klageabweisende Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) war dennoch aufzuheben und der Rechtsstreit an das LAG zurückzuverweisen. Dieses wird zu prüfen haben, ob für die Änderung der Versorgungsordnung sachlich-proportionale Gründe vorlagen und damit die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gewahrt sind.

Hier geht es zur Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zum Urteil vom 13.10.2016 - Az.: 3 AZR 439/15

Das sagen wir dazu:

Anmerkung: Änderungen von Versorgungsordnungen überprüfen!

Nach der Entscheidung vom 13.10.2016 gehen die Richter*innen des Dritten Senats davon aus, dass von einem Fall der Diskriminierung, wie vom Kläger angenommen, nicht auszugehen ist, da

  • a) keine gegen das AGG verstoßende Benachteiligung wegen einer Behinderung vorliegt,
  • b) eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 AGG ausscheidet, da die die Abschläge nicht an die Schwerbehinderteneigenschaft gebunden sind
  • c) auch eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 2 AGG ausscheidet, da die Voraussetzungen eines vorzeitigen Renteneintritts auch für nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer*innen gelten. Daraus, dass allein schwerbehinderte Menschen die gesetzliche und somit auch die Betriebsrente früher beanspruchen können, ergibt sich keine Benachteiligung gegenüber anderen Arbeitnehmer*innen, da es keine anderen Arbeitnehmer*innen geben kann die zum selben Zeitpunkt eine Betriebsrente beziehen.


Für die Praxis wird die Entscheidung von zu beachtender Bedeutung sein. Denn Änderungen von Versorgungsordnungen, die "Abschläge bei vorzeitigem Bezug der Betriebsrente" vorsehen, müssen den vorstehenden Grundsätzen zu Eingriffen in bisherige Regelungen genügen. 
Eben aus diesem Grund hat das BAG die Sache auch an das LAG zurück verwiesen und dem Berufungsgericht auferlegt, nach den nunmehr festgelegten Grundsätzen des Dritten Senats zu prüfen, ob für die Änderung der Versorgungsordnung, durch die ja erst Abschläge bei einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Betriebsrente eingeführt wurden, sachlich-proportionale Gründe vorlagen und damit die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gewahrt sind. 

Nicht jede Änderung von Versorgungsordnungen zum Nachteil von Arbeitnehmer*innen hält einer rechtlichen Überprüfung stand. Mitglieder der DGB Gewerkschaften sollten die Änderungen deshalb durch ihre Gewerkschaft überprüfen lassen, wenn sie Bedenken gegen deren Rechtmäßigkeit haben. 

Nach erteilter Rechtsschutzgewährung durch die Gewerkschaft besteht auch die Möglichkeit der Überprüfung durch die Juristen*innen der DGB Rechtsschutz GmbH, die in 111 Büros bundesweit Gewerkschaftsmitglieder beraten und vor den Arbeits- und Sozialgerichten aller Instanzen kostenfrei vertreten.

Rechtliche Grundlagen

§ 3 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

§ 3 Begriffsbestimmungen

(1) Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor.

(2) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

(3) Eine Belästigung ist eine Benachteiligung, wenn unerwünschte Verhaltensweisen, die mit einem in § 1 genannten Grund in Zusammenhang stehen, bezwecken oder bewirken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

(5) Die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 genannten Grund gilt als Benachteiligung. Eine solche Anweisung liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 insbesondere vor, wenn jemand eine Person zu einem Verhalten bestimmt, das einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt oder benachteiligen kann.