Führt der Betriebsrat über einen längeren Zeitraum keine Betriebsversammlungen durch, so ist dies ist als grobe Verletzung gesetzlicher Pflichten grundsätzlich geeignet, einen Antrag auf Auflösung des Betriebsrats nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG zu begründen.

Der Fall:

Die Arbeitgeberin, die ein Restaurant mit ca. 25 Mitarbeitern führt, begehrt die Auflösung des dreiköpfigen Betriebsrats. Sie wirft diesem vor, dass seit seiner Wahl keine Betriebsversammlungen statt gefunden habe. Auch habe es keine Einladungen zu Betriebsversammlungen gegeben.

Der Betriebsrat trägt vor, dass er seit Gründung an der Ausübung seines Amtes gehindert worden sei. Mitglieder seien drangsaliert worden durch Kündigungen, Abmahnungen oder Versetzungen, sodass die Betriebsratstätigkeit nur noch schwer zu realisieren gewesen sei. Betriebsversammlungen seien in der Vergangenheit geplant worden, jedoch aufgrund der grundsätzlichen Verweigerungshaltung der Arbeitgeberin nicht durchgeführt worden.

Die Entscheidung:

Das ArbG Hamburg hat dem Auflösungsantrag statt gegeben.

Der Betriebsrat hat in grober Weise gegen seine Pflichten verstoßen. Alleine im Zeitraum zwischen seiner Wahl bis zum Tag der Anhörung vor der Kammer, hätte er neun Betriebsversammlungen durchführen müssen. Dieser Verstoß gegen die Pflicht aus § 43 Abs. 1 BetrVG ist auch als grob anzusehen. Für die Kammer ist nicht ersichtlich, ob überhaupt Betriebsversammlungen geplant waren. Der Betriebsrat hat damit über einen langen Zeitraum mehrfach seine Pflichten verletzt, zumindest jedes Vierteljahr.

Für die Richter waren auch keine betrieblichen Besonderheiten ersichtlich, dass der Betriebsrat von der Durchführung der Betriebsversammlungen absehen durfte. Zwar ist grundsätzlich im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen, ob ihn die Arbeitgeberin an der Durchführung gehindert hat. Hierzu hat der Betriebsrat - abgesehen von der pauschalen Behauptung - nichts vorgetragen.

Im Übrigen entschuldigt ein mögliches Verhalten des Arbeitgebers den Betriebsrat auch nicht dahingehend, zumindest einmal eine Betriebsversammlung zu planen. Aufgrund des Zeitraums und der Anzahl der nicht durchgeführten Betriebsversammlungen ist der Verstoß gegen die Pflichten aus § 43 Abs. 1 BetrVG besonders schwerwiegend. Die damit einhergehende fortgesetzte Verletzung des Anspruchs der Belegschaft auf kontinuierliche Unterrichtung macht die weitere Amtsausübung nicht tragbar.

Der Verstoß gegen § 43 Abs. 1 BetrVG betrifft nicht bloß einzelne Betriebsratsmitglieder, insbesondere seine Vorsitzende und deren Stellvertreter, sondern den Betriebsrat als Gremium. Insofern waren nicht bloß einzelne Mitglieder aus dem Betriebsrat auszuschließen.

Folgen für die Praxis:

Nach § 23 Absatz 1 Satz 1 BetrVG kann ein Betriebsrat aufgelöst werden, wenn er seine gesetzlichen Pflichten grob verletzt hat.
Die Pflichtverletzung muss objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend sein. Dies ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der betrieblichen Gegebenheiten und des Anlasses der Pflichtverletzung zu beurteilen.
Aus dem Wortlaut von § 43 Absatz 1 Satz 1 BetrVG erfolgt bereits die Pflicht des Betriebsrates Betriebsversammlungen durchzuführen, indem das Wort „hat“ vom Gesetzgeber in den Gesetzestext aufgenommen wurde. Hintergrund ist, dass die Belegschaft ein Recht auf kontinuierliche Unterrichtung hat, welche der Betriebsrat durch Betriebsversammlungen erfüllen muss. Die dem Betriebsrat gegebenen Rechte und Befugnisse bestehen nicht um ihrer selbst willen. Ohne diese würde der Betriebsrat seine Funktion als Repräsentant der Belegschaft verfehlen.
Die Nichteinberufung von Pflichtbetriebsversammlungen kommt damit als grobe Pflichtverletzung in Betracht.
Das Betriebsverfsssungsrecht würde bei einer Untätigkeit des Betriebsrates leer laufen. § 23 Absatz 1 BetrVG ist die einzige Möglichkeit, um vorzeitig die Wahl eines neuen Betriebsrates zu erzwingen. Andernfalls blieben die Arbeitnehmer für die restliche Amtszeit ohne Interessenvertretung. Auch der Arbeitgeber wäre blockiert. Er ist beispielsweise im Rahmen der Tatbestände des § 87 BetrVG auf die aktive Mitarbeit des Betriebsrates angewiesen.
Nach den Auflagen des Gerichtes hatte der Betriebsrat nur pauschal auf mehrere Beschlussverfahren hingewiesen und behauptet an der Betriebsratstätigkeit gehindert worden zu sein. Trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes musste das Gericht die anderen Akten nicht beiziehen, sichten und damit ins „Blaue hinein“ ermitteln.
In der Einzelfallprüfung wurde festgestellt, dass der Betriebsrat die Mitarbeiter seit geraumer Zeit ohne Interessenvertretung gelassen hat. Auch der Arbeitgeber war betroffen.
Fazit: Der Betriebsrat repräsentiert in erster Linie die Belegschaft. Sicherlich kann es zu Auseinandersetzungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber kommen. Dies liegt in der Natur der teilweise widerstreitenden Interessen. Jedes Betriebsratsmitglied muss sich bewusst sein, dass es nicht um seiner selbst willen diese Funktion innehat, sondern alle Arbeitnehmer des Betriebes zu vertreten hat.

 


DGB Rechtsschutz GmbH, Margit Körlings

Beschluss des ArbG Hamburg vom 27.06.2012, Az: 27 BV 8/12