In diesem Fall ging das Arbeitsgericht nicht von Rechtsmissbrauch aus
In diesem Fall ging das Arbeitsgericht nicht von Rechtsmissbrauch aus

Das kam dem Arbeitgeber einer bundesweit tätigen Baumarktkette doch sehr verdächtig vor: Am Samstagnachmittag informierte er den Betriebsratsvorsitzenden über den dringenden Verdacht eines Diebstahls von Firmeneigentum, den ein 36-jähriger Verkäufer begangen haben soll. Schon am Mittag des nächsten Arbeitstages teilte der Betriebsratsvorsitzende dem Geschäftsführer mit, dass zwei Mitglieder des amtierenden Wahlvorstandes zurückgetreten seien. Weiter informierte er, dass unter anderem der des Diebstahls Verdächtige zum neuen Wahlvorstandsmitglied bestellt wurde, mit der Folge des besonderen Kündigungsschutzes nach § 15 Absatz 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).

Rechtsmissbräuchliche Bestellung zum Wahlvorstand?

„Kungelei“ vermutete der Arbeitgeber und hielt die Wahlvorstandsbestellung für unbeachtlich. Ohne die nach § 103 Betriebsverfassungsgesetz erforderliche Zustimmung des Betriebsrates einzuholen, kündigte er dem Verkäufer fristlos.

Mit Hilfe des Hagener Büros der DGB Rechtsschutz GmbH wehrte sich das Ver.di-Mitglied gegen die Kündigung. Das Arbeitsgericht Bochum gab ihm Recht und erklärte die Kündigung für unwirksam.

Zustimmung zur Kündigung war erforderlich

Ob wirklich ein Diebstahl begangen worden sei, könne dahinstehen, so die Arbeitsrichter. Denn ohne Zustimmung des Betriebsrates beziehungsweise gerichtlicher Ersetzung dieser Zustimmung durfte die Kündigung nicht ausgesprochen werden.

Denn: Zu Recht berufe sich das Wahlvorstandsmitglied auf den besonderen Kündigungsschutz des Amtsträgers nach § 15 Absatz 3 KSchG.

Kurze Zeitspanne begründet keinen Rechtsmissbrauch

Nicht entgangen war dem Arbeitsgericht natürlich die kurze Zeitspanne zwischen Kenntnis des Betriebsrates vom Diebstahlverdacht und Ernennung des Verdächtigten zum Wahlvorstand. Dies allein genüge jedoch nicht, um einen Rechtsmissbrauch, der in der Tat zum Verlust des besonderen Kündigungsschutzes führe, anzunehmen.

Zusätzlich erforderlich seien besondere Umstände, die auf kollusive Absprachen zwischen Betriebsrat und Wahlvorstandsmitglied hindeuten und die darauf schließen lassen, dass die Wahlvorstandsbestellung nur zum Schein erfolgt sei, um dem Betroffenen besonderen Kündigungsschutz zu verschaffen.

Arbeitgeber legt Berufung ein

Ein derartiges Zusammenwirken sah das Arbeitsgericht Bochum aber nicht. Im Gegenteil: Es war nicht der erste Rücktritt von Wahlvorstandsmitgliedern in der Filiale, so dass das Gericht generelle Schwierigkeiten im Hinblick auf den Wahlvorstand ausmachte. Außerdem spreche, so die Arbeitsrichter weiter, die Tatsache, dass gleich zwei Mitglieder des alten Wahlvorstandes zurückgetreten seien, gegen eine kollusive Absprache. Diese Argumentation sah der Arbeitgeber als wenig überzeugend an und legte gegen das die Kündigung für unwirksam erklärende Urteil Berufung ein.Im Rahmen des vor dem Landesarbeitsgericht Hamm geführten Berufungsverfahrens einigten sich die Parteien inzwischen.

Hier geht es direkt zum Urteil des Arbeitsgerichtes Bochum vom 20.7.2016, Az.: 5 Ca 464/16 im Volltext

Weitere Fälle zum Kündigungsschutz von Amtsträgern können Sie hier nachlesen:

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Krankheitsbedingte Kündigung von Betriebsratsmitgliedern?
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Bauhaus selber war in der Vergangenheit auch nicht zimperlich im Umgang mit Amtsträgern:
Bauhaus Witten macht Rückzieher bei Kündigung von Betriebsrätin

Das sagen wir dazu:

Dieselbe Problematik der rechtsmissbräuchlichen Berufung auf den Sonderkündigungsschutz von Amtsträgern taucht bisweilen auf, wenn Ersatzmitglieder an Betriebsratssitzungen teilnehmen.
Manch einem Arbeitgeber „stinkt es“, wenn das auf der „Abschussliste“ stehende Ersatzmitglied urplötzlich wegen Verhinderung eines regulären Betriebsratsmitgliedes zu einer Betriebsratssitzung geladen wird.

Auch in derartigen Fällen genügen zeitlicher Zusammenhang und Vermutung des Arbeitgebers nicht, um von einem rechtsmissbräuchlichen Verschaffen von Kündigungsschutz zu sprechen.
Aber Achtung: Erforderlich ist eine tatsächliche Verhinderung des gewählten Betriebsratsmitgliedes. Kein Sonderkündigungsschutz besteht, wenn das gefährdete Ersatzmitglied trotz Anwesenheit aller regulären Betriebsräte zur Sitzung geladen wird.

Rechtliche Grundlagen

Text von § 15 KSchG und § 103 BetrVG (auszugsweise)

§ 15 Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
Unzulässigkeit der Kündigung
(1) Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Nach Beendigung der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder eines Seebetriebsrats innerhalb eines Jahres, die Kündigung eines Mitglieds einer Bordvertretung innerhalb von sechs Monaten, jeweils vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.
(3) Die Kündigung eines Mitglieds eines Wahlvorstands ist vom Zeitpunkt seiner Bestellung an, die Kündigung eines Wahlbewerbers vom Zeitpunkt der Aufstellung des Wahlvorschlags an, jeweils bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die nach § 103 des Betriebsverfassungsgesetzes oder nach dem Personalvertretungsrecht erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch eine gerichtliche Entscheidung ersetzt ist. Innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Kündigung unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht für Mitglieder des Wahlvorstands, wenn dieser durch gerichtliche Entscheidung durch einen anderen Wahlvorstand ersetzt worden ist.

§ 103 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
Außerordentliche Kündigung und Versetzung in besonderen Fällen
(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.
(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.