Fragliche Verdachtskündigung eines Lagerarbeiters. Copyright by Kadmi/fotolia.
Fragliche Verdachtskündigung eines Lagerarbeiters. Copyright by Kadmi/fotolia.

Das Betriebsratsmitglied ist als Lagermitarbeiter in einem Großhandel mit Computern und Computerteilen beschäftigt. Videokameras überwachten das Lager. Im Oktober 2016 waren Festplatten im Wert von über 23.000 €  verschwunden. Auf den Videoaufzeichnungen ist zu erkennen, dass das Betriebsratsmitglied bei Ankunft der Festplatten im Lager anwesend war. Er machte sich an den Festplatten zu schaffen. Die Palette verschwand dann relativ schnell aus dem Aufnahmebereich der Videokamera. Es war deshalb nicht mehr zu sehen, was mit den Festplatten passiert ist.
 
Ungeachtet der wenig ergiebigen Videoaufzeichnungen hegte der Arbeitgeber den starken Verdacht, das Betriebsratsmitglied habe die Festplatten entwendet. Er unterstellte dem Betriebsratsmitglied, die Palette mir den Festplatten bewusst in einen Bereich gebracht zu haben, den die Kamera nicht erfasst. Der Arbeitgeber beantragte   hierauf beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglied. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung, worauf der Arbeitgeber das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren einleitete.

Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren wiesen das Betriebsratsmitglied und der Betriebsrat darauf hin, dass das  Kamerasystem gemäß einer Betriebsvereinbarung vor allem dazu dienen solle, Diebstähle durch Kunden aufzuklären und zu verhindern. Das Verhalten der Mitarbeiter solle die Kamera nicht überwachen. Im Ergebnis dürfe der Arbeitgeber die Videoaufzeichnungen gar nicht verwenden.
 

Arbeitsgericht weist Zustimmungsersetzungsantrag zurück  - LAG hebt erstinstanzlichen Beschluss auf

Mit Beschluss vom 07.03.2017 wies das Arbeitsgericht Aachen den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsmitglied zurück.
Die gegen die erstinstanzliche gerichtete Beschwerde des Arbeitgebers führte zur Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses.
Die Richter*innen des Beschwerdegerichts sahen eine außerordentliche Kündigung als gerechtfertigt an und ersetzten die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung.
Im Zustimmungsersetzungsverfahren prüfen die Richter*innen, ob der Betriebsrat berechtigt war, die Zustimmung zu verweigern. Die abschließende Prüfung der Berechtigung der außerordentlichen Kündigung findet dann erst im Kündigungsschutzprozess statt.
 

Allein der Verdacht einer Straftat rechtfertigt Kündigung des Betriebsratsmitglieds

Das Kölner Landesarbeitsgericht (LAG) sah die Voraussetzungen der Verdachtskündigung als gegeben an. Die Richter*innen führen in ihrer Entscheidung aus, dass im Arbeitsrecht der dringende Verdacht ausreiche, der Mitarbeiter habe eine Straftat begangen. Aufgrund objektiver Tatsachen, so das LAG, bestehe eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass das Betriebsratsmitglied die ihm unterstellte Straftat begangen habe. Hierdurch sei das Arbeitsverhältnis so stark belastet, dass dem Arbeitgeber eine Fortsetzung nicht mehr zuzumuten sei.
 

Videoüberwachung führt nicht zwingend zum Beweisverwertungsverbot

Datenschutzrechtliche Verstöße durch die Videobeweise vermochte das LAG nicht zu erkennen. Es begründet dies damit, dass es eine Betriebsvereinbarung gebe, die letztlich auch dazu dienen solle, Diebstähle zu verhindern. Hierzu gehören auch solche der eigenen Mitarbeiter. Ein Beweisverwertungsverbot komme nach Auffassung des LAG nur im Ausnahmefall in Betracht. Dies sei dann der Fall, wenn Persönlichkeitsrechte Einzelner betroffen seien . Das sei selbst bei der heimlichen Videoüberwachung nur ausnahmsweise der Fall. Hier sei es deshalb abwegig, da der Lagermitarbeiter von der Überwachungskamera wusste.
 

Anhörung auch ohne Anwalt zumutbar

Für eine Verdachtskündigung ist immer die Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers erforderlich. Dieser muss die Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Arbeitgeberin bestimmte einen Anhörungstermin. Dazu wollte das Betriebsratsmitglied einen Anwalt hinzuziehen. Dazu kam es jedoch nicht. Das Betriebsratsmitglied verweigerte daraufhin die Teilnahme an einer Anhörung ohne anwaltliche Unterstützung. Das LAG hielt die Anwesenheit eines Anwalts für nicht zwingend. Es kam zu dem Ergebnis, dass aufgrund der Weigerung des Betriebsratsmitglieds die Anhörung selbst überflüssig gewesen sei.
 

Rechtsbeschwerde zugelassen

Das Kölner LAG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil es den entscheidungserheblichen Rechtsfragen teilweise eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen hat.
Zwischenzeitlich wurde Rechtsbeschwerde eingelegt. Das Verfahren ist beim Bundesarbeitsgericht (BAG) unter dem Az: 2 ABR 29/18 anhängig. Über den weiteren Verlauf werden wir berichten.
 
Hier geht es zur vollständigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln vom 06.07.2018, Az: 9 TaBV 47/17:
 
Für Interessierte:
Hier geht es zu weiteren Artikeln zum Thema „Verdachtskündigung“:
 
Was ist eine Verdachtskündigung?
Verdacht reicht zur Entlassung!
Anhörungsfrist zu kurz  - Verdachtskündigung unwirksam
Sparkasse scheitert mit Verdachtskündigung
 

Das sagen wir dazu:

Wenn keine Tatkündigung begründet werden kann, dann muss die Verdachtskündigung her!

Schon der bloße Verdacht einer Pflichtverletzung kann für eine Kündigung ausreichen. Die Gerichte sprechen in so einem Fall nicht von einer Tat-, sondern von einer Verdachtskündigung. Hierbei sind jedoch spezielle formelle Voraussetzungen einzuhalten.
Wenn ein Arbeitgeber eine verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen hat, muss er im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens darlegen und beweisen, dass ein Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten vorliegt. Es kann auch schon der unbewiesene Verdacht ausreichen, dass der/die Beschäftigte arbeitsvertragliche Pflichten verletzt hat. In einem solchen Fall spricht nicht von einer Tat-, sondern von einer Verdachtskündigung.
Bei einer Verdachtskündigung besteht immer die Gefahr, dass es einen Unschuldigen trifft. Deshalb kommt diese Form der Kündigung nur unter strengen Bedingungen in Betracht.

Ob das Kölner LAG sich an diese strengen Regeln, nach denen eine Verdachtskündigung zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses führen kann, gehalten hat, erscheint zumindest als fraglich. Denn Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung sind:

1. Es muss der Verdacht eines erheblichen Pflichtverstoßes bestehen. Erheblich sind Pflichtverstöße in diesem Zusammenhang dann, wenn sie – wären sie erwiesen – eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen würden. Der Verstoß muss demnach so schwerwiegend sein, dass der Arbeitgeber schon allein aufgrund des Verdachts nicht zuzumuten ist, den Ablauf der Kündigungsfrist abzuwarten. Dies ist zum Beispiel der Fall, beim Verdacht auf Diebstahl, Unterschlagung, Arbeitszeitbetrug, Tätlichkeiten oder groben Beleidigungen.

2. Der Verdacht muss dringend sein. Nur vage Verdachtsmomente können eine Verdachtskündigung nicht begründen.

3. Der Verdacht muss sich aus Tatsachen ergeben. Ein rein spekulativer Verdacht reicht nicht aus.

4. Eine Verdachtskündigung ohne vorherige Anhörung des/der Beschäftigten ist unwirksam.

5. Bei der Anhörung ist es erforderlich, dass der Arbeitgeber die Vorwürfe konkret benennt, so dass sich der/die Beschäftigte mit einem greifbaren Sachverhalt auseinandersetzten kann. Nur, wenn der/die Betroffene ausdrücklich erklärt, er/sie werde sich nicht zu dem Verdacht äußern, ist eine Anhörung nicht erforderlich, weil sie auf keinen Fall zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts führen würde.

6. Das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses muss das Interesse des Arbeitnehmers überwiegen, seinen Arbeitsplatz zu behalten. Kriterien für diese Interessenabwägung sind unter anderem die Schwere der Pflichtverletzung, die Höhe des Schadens, die Dauer des Arbeitsverhältnisses und, ob es bisher störungsfrei verlaufen ist.

Es bleibt nun abzuwarten, wie das BAG über die anhängige Rechtbeschwerde entscheiden wird.

Rechtliche Grundlagen

§ 626 BGB, § 103 BetrVG



Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.



Betriebsverfassungsgesetz
§ 103 Außerordentliche Kündigung und Versetzung in besonderen Fällen
(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.