Betreiber eines Pflegeheims will technisch kontrollieren. Betriebsrat darf zuspitzende und vergleichende Kritik äußern, ohne  Kündigung zu befürchten.
Betreiber eines Pflegeheims will technisch kontrollieren. Betriebsrat darf zuspitzende und vergleichende Kritik äußern, ohne Kündigung zu befürchten.

Der Arbeitgeber betreibt ein Senioren- und Pflegezentrum. Er beabsichtigt Kontrollen durchzuführen, wie lange ein Mitarbeiter benötigt, bis er dem Klingelruf eines Bewohners nachkommt. 

Betriebsrat kritisiert technische Kontrollen

Ein Betriebsratsmitglied, welches auch gleichzeitig Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ist, schreibt eine E-Mail an den Einrichtungsleiter sowie die Aufsichtsratsmitglieder. 


Darin macht er darauf aufmerksam, dass er wegen dieser Maßnahme dringenden Handlungsbedarf sieht. Diese stelle eine Überwachung dar, wie sie »in einem totalitären Regime vor 70 Jahren« üblich war. 


Die einseitige Maßnahme des Arbeitgebers sei »der Anfang von dem, was dann irgendwann aus dem Ruder laufen kann«. Aufgrund der Kritik will der Arbeitgeber eine fristlose Kündigung aussprechen. Der Betriebsrat stimmt der Kündigung nicht zu. Daher will der Arbeitgeber nun die Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsmitglieds ersetzen lassen 

Ist das Betriebsratsmitglied in seiner E-Mail zu weit gegangen?

Das Gericht hält eine fristlose Kündigung nicht für gerechtfertigt. Die Zustimmung zur Kündigung wird daher nicht ersetzt. 


Der Vergleich betrieblicher Verhältnisse mit dem nationalsozialistischen Terrorregime ist in der Regel ein hinreichender Grund für eine fristlose Kündigung. Das Betriebsratsmitglied habe allerdings vor einer künftigen Entwicklung gewarnt. 


Damit würde allenfalls an die Verhältnisse der Weimarer Republik angeknüpft. Er habe nur darauf hingewiesen, dass man von Anfang an die Entwicklung beobachten müsse. Dabei handele es sich um eine von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung, auch wenn diese geschmacklos ist.

Wo ist die Grenze zwischen Beleidigung und Kritik am Arbeitgeber?

Insbesondere angesichts der derzeitigen politischen Entwicklung in Deutschland ist Zurückhaltung geboten. Jeglicher Vergleich mit dem NS-Regime nach 1933 ist zu unterlassen. Darüber darf es keinerlei Diskussionen geben. Auch rassistische und rechtsradikale Äußerungen sind ohne Wenn und Aber tabu. 


Ansonsten können durchaus auch schon einmal härtere Worte gewählt werden. Ein gewisses Maß an Sitte und Anstand sollte aber gewahrt werden. Die Grenze zur Beleidigung darf auf keinen Fall überschritten werden. Die Kritik am Arbeitgeber ist erlaubt. Es gelten die Grenzen der Meinungsfreiheit, die sich aus dem Grundgesetz ergeben. 


Eine weitere Einschränkung dazu kann sich aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit ergeben, das auch zugunsten von Arbeitgebern gilt. Zudem gibt es eine Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Sachlich gerechtfertigt wäre die Kündigung beispielsweise dann, wenn der Arbeitnehmer dem Geschäftsführer sagt, dass er sich von ihm nichts sagen lasse und nicht bereit sei Weisungen zu folgen.

Praxistipp: Sachlicher Umgang ist geboten

Menschen sollten respektvoll miteinander umgehen. Zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat gilt das Gebot vertrauensvoller Zusammenarbeit.


Bei seiner Kritik muss das Betriebsratsmitglied, das Vertreter aller Arbeitnehmer des Betriebes ist, nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Es gibt insoweit einen Unterschied zum »normalen« Arbeitnehmer, der nur seine eigenen Interessen im Auge haben muss. Das Betriebsratsmandat darf insoweit aber nicht als Freibrief für jede Art der Meinungsäußerung gelten. 


Einen Maulkorb muss sich das Betriebsratsmitglied aber auch nicht anlegen. Sicherlich werden nicht nur geflügelte Worte gebraucht. Ein gewisses Maß an Respekt und Anstand kann aber von jedem verlangt werden, auch vom Arbeitgeber. Es wird immer auf den Einzelfall ankommen, in welcher konkreten Situation die Worte gefallen sind und was dem Streit vorausgegangen ist. (Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: „AiB-Newsletter, Rechtsprechung für den Betriebsrat“ des Bund-Verlags, Ausgabe 6/2016 vom 05.04.2016.)

 

Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf zum Urteil vom 04.03.2016 - Az.: 10 Ta BV 102/15
 

Lesen sie hierzu auch unsere Beiträge:

Kein Maulkorb für Betriebsräte bei geplantem Personalabbau!

Kein Maulkorb für die Prozessvertretung!

Kein Maulkorb bei allgemeinpolitischen Aussagen


Im Praxistipp: § 103 Betriebsverfassungsgesetz - Außerordentliche Kündigung und Versetzung in besonderen Fällen

Rechtliche Grundlagen

§ 103 Betriebsverfassungsgesetz - Außerordentliche Kündigung und Versetzung in besonderen Fällen

Betriebsverfassungsgesetz
§ 103 Außerordentliche Kündigung und Versetzung in besonderen Fällen

(1) Die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Bordvertretung und des Seebetriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern bedarf der Zustimmung des Betriebsrats.

(2) Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann das Arbeitsgericht sie auf Antrag des Arbeitgebers ersetzen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. In dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht ist der betroffene Arbeitnehmer Beteiligter.

(3) Die Versetzung der in Absatz 1 genannten Personen, die zu einem Verlust des Amtes oder der Wählbarkeit führen würde, bedarf der Zustimmung des Betriebsrats; dies gilt nicht, wenn der betroffene Arbeitnehmer mit der Versetzung einverstanden ist. Absatz 2 gilt entsprechend mit der Maßgabe, dass das Arbeitsgericht die Zustimmung zu der Versetzung ersetzen kann, wenn diese auch unter Berücksichtigung der betriebsverfassungsrechtlichen Stellung des betroffenen Arbeitnehmers aus dringenden betrieblichen Gründen notwendig ist.