In manchen Betrieben ist diese Unternehmenskultur verankert. Jeder kennt das „Du“ von Ikea, das auch die Kunden mit einbezieht. Wenn ich in einem solchen Betrieb die Arbeit aufnehme weiß ich, auf was ich mich einlasse.

In Branchen mit überwiegend jungen Beschäftigten oder im Handwerk ist duzen oft üblich

Das „Du“ steht hierzulange für Nähe und Vertrauen. In Betrieben soll es eine offene Kommunikation fördern und das Teamgefühl der Mitarbeiter stärken. Es steht für flache Hierarchien. Wenn das Duzen aus der Tradition heraus beibehalten wurde, oder gelebte Firmenkultur ist, dann wird sich kaum jemand daran stoßen.

Frau Neumann ist Mitte 50 und seit über 15 Jahren bei Aldi beschäftigt. Filialleiter kommen und gehen und sind in der Regel halb so alt wie sie. Es gab einige Unruhe in den Filialen, weil Versetzungen drohten, weil angeblich Personal „über“ war.

Außerdem wurden Stunden gekürzt und die Dienstpläne ständig umgeschmissen. Oft auch ganz kurzfristig. Hinzu kommt, dass Auszubildende nicht nur ihren Beruf lernen, sondern auch zu Selbstverständlichkeiten immer wieder angehalten werden müssen. Dass man seinen „Müll“ an der Kasse wegräumt, bevor ein anderer den Platz einnimmt etc.

Was ist, wenn der Arbeitgeber das „Du“ einführen will

Und in dieser Situation kommt der dynamische Filialleiter in den Pausenraum und trötet: „Ab heute bin ich der Jens und wir duzen uns alle!"

Darüber will Frau Neumann erst mal nachdenken und sagt das auch. Mit einigen Kolleginnen duzt sie sich, aber nicht mit allen. Und auch die Azubis sollen sie zukünftig duzen. Das ist ihr nicht recht. Jens ist sich sicher. Es gäbe eine Übergangszeit, aber dann ist das Duzen Pflicht.

Nach Auffassung vieler Arbeitgeber hat das Duzen auf der Arbeitsstelle auch Nachteile. Insbesondere kann die fehlende verbale Distanz den respektvollen Umgang erschweren. Ein beruflicher Konflikt wird viel eher persönlicher ausgetragen.

Mit dem „Sie“ verschwinden oft auch „Bitte“ und „Danke“

Eine falsche Vertrautheit kann auch Grenzüberschreitungen begünstigen: „Machen Sie Ihren Scheiß doch selber !, geht einem längst nicht so einfach von den Lippen wie: „Mach Deinen Scheiß doch selber!“

Mit dem „Sie“ verschwindet bei manchen Zeitgenossen auch das „Bitte“ und „Danke“ aus dem Wortschatz. Gegen plumpe Vertraulichkeit von männlichen Kollegen fällt es Frauen schwerer sich zu wehren. Mit einem „Sie“ eine höfliche Distanz beizubehalten, empfinden besonders Frauen als einfacher.

Bei hierarchieübergreifendem Duzen erhöht sich außerdem die Hürde für das Nein-Sagen. Der Empfänger ist bei der vertraulichen Anrede unter größerem Rechtfertigungsdruck: "Kannst Du nicht morgen früh noch kommen?" klingt zwingender als „Können Sie morgen früh noch zusätzlich arbeiten?“

In der zweiten Version fällt es deutlich leichter „Nein“ zu sagen, wenn es nicht passt. Folge des pauschalen Duzens kann auch sein, dass Mitarbeiter untereinander noch nicht einmal ihren Nachnamen kennen. Das kann zu peinlichen Situationen im Kundenverkehr kommen.

Duzen jetzt auf Verordnung?

Nähe und Vertrauen kann man auch nicht verordnen, besonders nicht über Hierarchieschranken hinweg, dies muss erarbeitet werden.

Erst wenn Mitarbeiter erleben, dass sie bei Entscheidungen beteiligt und ihre Interessen entsprechend gewürdigt werden, also tatsächlich die Firmenkultur durch Vertrauen geprägt ist, mag eine vertrauliche Anrede das Teamgefühl verbessern.

Bei Discountern ist das aber eher nicht der Fall. Grade deswegen stellt sich die Frage, ob man als Arbeitgeber das Duzen befehlen kann.

Kann ich mich gegen das duzen wehren?

Im Arbeitsvertrag findet sich sicherlich dazu nichts. Ist das bisherige Siezen nur eine Gepflogenheit, die einfach geändert werden kann?

Die Weisung, wie im Betrieb miteinander gesprochen wird, unterfällt dem sogenannten Direktionsrecht des Arbeitgebers. Darunter versteht man die Befugnis des Arbeitgebers, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung sowie Ordnung und Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb nach billigem Ermessen näher zu bestimmen.

Das heißt, dass das Direktionsrecht nicht schrankenlos ausgeübt werden kann. Die Grenze ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters. Als Erwachsener kann grundsätzlich jeder für sich entscheiden, wem er das vertrauliche „Du“ anbietet.

Und schon das Wort „anbieten“ benennt ein Angebot, dass man auch ablehnen kann. Auch wenn in Deutschland seit etwa 100 Jahren Kinder ihre Eltern nicht mehr siezen, ist es immer noch üblich, dass Erwachsene sich im öffentlichen Bereich oder auf der Arbeitsstelle siezen.

Hier stehen sich also das Persönlichkeitsrecht - hier in Ausgestaltung, dass ich bestimme, mit wem ich mich duze - und die Interessen von Aldi gegenüber. Gerichte haben in einer solchen Situation dann zu entscheiden, welche Interessen überwiegen.

Haben Gerichte über das verordnete Duzen schon entschieden?

Das ist länger her. In einem Fall haben das Arbeitsgericht Rheine und im Berufungsverfahren das Landesarbeitsgericht Hamm (Az.: 14 Sa 1145/98) für das Duzen entschieden. Letztlich aber deshalb, weil der klagende Arbeitnehmer das Duzen zu lange hingenommen hatte.

Der Arbeitnehmer hat nach gut zweijähriger, widerspruchsloser Duldung verlangt, wieder gesiezt zu werden. Das hielten die Richter für widersprüchlich. Eine Klage auf Umstellung in die „Sie-Form“ war nicht begründet, weil das Duzen jetzt betriebsüblich geworden war.

Der neue Verhaltenskodex sei jetzt von der Belegschaft verinnerlicht und als neue Umgangsform akzeptiert und Betriebspraxis geworden. Der Arbeitnehmer konnte daraus nicht mehr ausscheren und muss sich deshalb auch weiterhin duzen lassen.

Aus der Entscheidung lässt sich schon entnehmen, dass es - hätte sich der Mitarbeiter zu Beginn gewehrt - anders gewertet werden muss.

Verordnung ist mitbestimmungspflichtig

Wenn in dem Betrieb ein Betriebsrat besteht, ist die Einführung neuer Umgangsformen mitbestimmungspflichtig, weil es sich um eine Frage der Ordnung im Betrieb handelt. Der Betriebsrat ist hier zwingend zu beteiligen.

Das heißt, ohne Zustimmung des Betriebsrats kann das Duzen nicht einfach verordnet werden. Bei Aldi ist das keine Hürde, denn Filialen mit Betriebsrat dürften schwer zu finden sein.

Darf Aldi es nun oder nicht?

Das Persönlichkeitsrecht ist ein Grundrecht und daher durch die Verfassung besonders geschützt. Da müssten Aldi im Gerichtsstreit schon gute Gründe einfallen, warum das Interesse von Aldi hier Vorrang haben soll.

Nach Meinung der Verfasserin müssen Beschäftigte diese Änderung nicht hinnehmen, dürfen aber nicht so lange warten, bis die Änderung betriebsüblich geworden ist.

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Das sagen wir dazu:

Gegen eine solche Anordnung kann vor den Arbeitsgerichten geklagt werden. Gerade Discounterbeschäftigte nehmen viele Änderungen hin, weil sie Repressionen fürchten und der nahe Arbeitsplatz gerade für Teilzeitbeschäftigte sehr vorteilhaft ist.

Aber spätestens, wenn die ersten Abmahnungen erteilt werden, weil man das Duzen verweigert, sollte man/frau sich wehren. Und allen bei Discounter Beschäftigten wird hiermit noch einmal deutlich gemacht: Schafft ihr es, einen Betriebsrat zu wählen, dann gibt es Mitbestimmungsrechte und die es einfordern sind durch ihr Mandat vor Kündigung geschützt.

Rechtliche Grundlagen

§ 106 Gewerbeordnung - GewO

Weisungsrecht des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.