Betriebsratsanhörung bei Kündigungen: Frist endet nicht durch Stellungnahme. Copyright by Gina Sanders/fotolia
Betriebsratsanhörung bei Kündigungen: Frist endet nicht durch Stellungnahme. Copyright by Gina Sanders/fotolia

Vielfach werden die Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vor Ausspruch einer Kündigung nur als reine Formalität abgetan. Aber der Dreisatz „Anhörung  -  Widerspruch  -  trotzdem Kündigung“ wird der Bedeutung des Anhörungsverfahrens und der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nicht gerecht. Durch seine Stellungnahme wird dem Betriebsrat die Möglichkeit eingeräumt, auf die Kündigungsentscheidung des Arbeitgebers noch Einfluss zu nehmen.
 

Einfluss des Betriebsrates auf die Kündigungsentscheidung

Einwendungen des Betriebsrates sollen den Arbeitgeber veranlassen, die Kündigungsabsicht eventuell ganz fallen zu lassen oder etwa nur eine Änderungskündigung auszusprechen. Klappt dies nicht, kann ein ordnungsgemäßer Widerspruch wenigstens die vorläufige Weiterbeschäftigung nach § 102 Absatz 5 BetrVG ermöglichen.
 

Anhörungsfrist nach § 102 Absatz 2 BetrVG

Um diese Einflussmöglichkeit wahrzunehmen, räumt der Gesetzgeber dem Betriebsrat einen gewissen Zeitraum ein: eine Woche bei beabsichtigter fristgerechter, drei Tage bei gewollter fristloser Kündigung. Eine vor Ablauf dieser Frist ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
 
Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der Betriebsrat vor Ablauf der Frist abschließend äußert.


Und hier liegt der Hase im Pfeffer
 
Eine endgültige und somit die Anhörungsfrist verkürzende Stellungnahme des Betriebsrats ist nur dann anzunehmen, wenn unzweifelhaft ist, dass sich der Betriebsrat wirklich abschließend geäußert hat und keine Ergänzung mehr beabsichtigt. Grundsätzlich bleibt es ihm nämlich unbenommen, innerhalb der  Frist zur Stellungnahme nachzubessern, eine einmal abgegebene Stellungnahme also zu ergänzen.
 

Ausdrücklicher Hinweis auf abschließende Stellungnahme

Sofern der Betriebsrat nicht ausdrücklich darauf hinweist, seine Äußerung sei abschließend und mit einer weiteren Stellungnahme sei nicht zu rechnen, ist dieser Punkt durch Auslegung des Betriebsratsschreibens zu ermitteln.
 
Nur wenn sich danach eindeutig ergibt, dass mit weiteren Äußerungen des Betriebsrats nicht zu rechnen ist, darf der Arbeitgeber ohne nachteilige Folge auch schon vor Fristende kündigen. Verbleiben jedoch Zweifel, muss sich der Arbeitgeber gegebenenfalls durch Nachfrage beim Betriebsratsvorsitzenden vergewissern, dass keine Ergänzung mehr erfolgt. Auf dessen Antwort darf er sich dann verlassen.
 
 
Hier finden Sie das vollständige Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.5.2016, 2 AZR 345/15:
 
Umfassende Informationen zu den Beteiligungsrechten des Betriebsrates bei Kündigungen erhalten Sie hier:
 
Über den Weiterbeschäftigungsanspruch nach § 102 Absatz 5 BetrVG lesen Sie hier:
 
Kündigungsschutzklage gewonnen, weil der Arbeitgeber die Betriebsratsanhörung nicht dargelegt hat:

Das sagen wir dazu:

In dem vom 2. Senat des BAG entschiedenen Fall vom 25.05.2016 hatte der Kläger, eine Änderungskündigung erhalten. In dem Verfahren machte er geltend, dass eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats nicht vorgelegen habe und schon aus diesem Grunde die Kündigung unwirksam sei.

Mit Schreiben vom 20.11.2012 hatte die Arbeitgeberin den Betriebsrats zu der Änderungskündigung angehört. Mit Antwortschreiben vom 26.11.2012 erklärte der Betriebsratsvorsitzende, der Betriebsrat habe „beschlossen, gegen die beabsichtigte Änderungskündigung Widerspruch einzulegen“.

Im Schlusssatz seiner Stellungnahme teilte der Betriebsrat mit: „Um eine abschließende Abwägung der Gehaltseinbußen durchführen zu können, bittet der Betriebsrat um weitere Informationen: Wie hoch ist das derzeitige Bruttojahresgehalt?“ Hierauf reagierte die Arbeitgeberin nicht mehr. Mit Schreiben vom 27.11.2012 sprach sie die Kündigung gegenüber dem  Kläger aus.

Unter Missachtung der Rüge des Klägers im Hinblick auf die nicht ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats wiesen das Arbeitsgericht und auch das Landesarbeitsgerichts die Kündigungsschutzklage ab.

Erst das Bundesarbeitsgericht (BAG) befasste sich dem Einwand des Klägers und hielt die Kündigung wegen mangelnder ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats für unwirksam.
Entgegen der Vorinstanzen kamen die Richter*innen des 2. Senats zu dem Ergebnis, dass die streitgegenständliche Änderungskündigung vor Ablauf der dem Betriebsrat eingeräumten Wochenfrist erklärt wurde, denn eine die Anhörung abschließende Stellungnahme des Betriebsrates habe mit dessen Schreiben vom 26. November 2012 ersichtlich nicht vorgelegen.

Man mag es eine Verschärfung der Anhörungsvoraussetzungen durch das BAG nennen. Eigentlich haben die höchsten Arbeitsrichter*innen aber lediglich mit Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats sorgfältig zu beachten sind und dass die Gerichte dies genau zu prüfen haben.

Die leichtfertige und ungeprüfte Annahme, bei einer vorzeitig abgegebenen Stellungnahme des Betriebsrates handele es sich um eine abschließende, sollte der Vergangenheit angehören.

Auch Arbeitnehmervertreter*innen sollten vor Gericht diesen Punkt sorgfältig im Auge behalten

Rechtliche Grundlagen

§ 102 (2) Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG)
§ 102 Mitbestimmung bei Kündigungen
(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.