Auch im Betrieb, in dem der Kläger als gewerblicher Arbeitnehmer beschäftigt ist, kam es zu aufgrund des Coronavirus zur Kurzarbeit.

In der betrieblichen Einheitsregelung zu Kurzarbeit im Unternehmen steht unter anderem:

Wir bitten darum, dass sie mit ihrer Unterschrift schriftlich ihr Einverständnis zu dieser Maßnahme, mit folgendem Umfang erklären:

  • bevor der Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt werden kann, muss der Resturlaub aus 2019 abgebaut werden
  • der Arbeitnehmer stimmt dem Abbau von Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto vor Beginn der Kurzarbeit zu
  • dem Arbeitnehmer bleibt dabei ein Guthaben in Höhe des seit länger als einem Jahr unverändert bestehenden Wertes erhalten
  • über die Dauer und den Umfang der Kurzarbeit wird jeder Mitarbeiter individuell informiert

Der Kurzarbeitszeitraum beginnt ab dem 1.4.2020 und endet bis auf Widerruf.

Arbeitgeber rechnet Kurzarbeit Null ab

Mit Schreiben vom 9. Juni 2020 informierte das Unternehmen den Kläger über Kurzarbeit für sechs Tage ab dem 22. Juni. Kurzarbeit Null wurde für ihn außerdem festgesetzt an fünf Tagen im Juli und jeweils an sechs Tagen im August und September. Dazu gab es weitere schriftliche Mitteilungen, immer knapp vor Beginn der Kurzarbeit.

Im Oktober arbeitete der Kläger zunächst normal und war dann ab dem 5. Oktober bis Ende des Monats arbeitsunfähig krank. Mit einem Schreiben datiert auf den 1. Oktober teilte ihm das Unternehmen mit, dass in der Zeit vom 5. bis 30. Oktober für ihn 20 Tage Kurzarbeit festgesetzt seien. Auch für diese Zeit wurde Kurzarbeit Null abgerechnet.

Klage beim Arbeitsgericht Münster

Mit Hilfe des DGB Rechtsschutzes Münster klagte der Mitarbeiter den vollen Lohn für den Oktober ein. 

Der Entgeltzahlungsanspruch sei nicht aufgrund von Kurzarbeit ausgeschlossen. Die Vereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit verstoße nämlich gegen § 307 BGB. Nur weil der Kläger sich in der Vergangenheit nicht gegen die festgesetzten Kurzarbeitszeiten gewährt habe, sei er nicht damit einverstanden gewesen, die Kurzarbeit für die Zukunft festzusetzen.

Beklagte beruft sich auf Ausnahmesituation in der Pandemie

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers habe sie erst am 7. Oktober erreicht, wendete die Beklagte ein. Und während des Bezugs von Kurzarbeitergeld könne der Kläger keine Entgeltfortzahlung beanspruchen.

Zudem sei die Situation, die der aktuellen Kurzarbeit zugrunde liege, aufgrund der Pandemie eine absolute Ausnahmesituation. Die Firma, bei der der Kläger eingesetzt ist, sei von der Pandemie massiv betroffen. Aufträge würden viel kurzfristiger als sonst erteilt, bereits erteilte Aufträge teilweise kurzfristig wieder zurückgenommen.

Kurzarbeit war nicht wirksam vereinbart

Das Gericht entschied zugunsten des Klägers. Sein Anspruch auf den vollen Lohn stützt sich für die Zeit vom 5. bis zum 30. Oktober auf das Entgeltfortzahlungsgesetz.

Entscheidend war für das Gericht, dass der Kläger in dem genannten Zeitraum unstreitig arbeitsunfähig erkrankt war. Diesem Anspruch stehe die ab dem 5. Oktober festgesetzte Kurzarbeit Null nicht entgegen. Denn nach Ansicht des Gerichts liegt keine wirksame Vereinbarung über Kurzarbeit in dem genannten Zeitraum vor.  

Das beklagte Unternehmen hatte die betriebliche Einheitsregelung zur Kurzarbeit vorformuliert und in zahlreichen Fällen gegenüber anderen Arbeitnehmern verwendet. Damit handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, kurz AGB. Verwendet ein Arbeitgeber solche AGB, sieht das Gesetz eine rechtliche Kontrolle zum Schutz der Arbeitnehmer vor. Diese Kontrolle nahm das Gericht vor. Die Regelung zur Kurzarbeit hielt nicht stand.

Regelung zur Kurzarbeit enthält keine Ankündigungsfrist

Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders - im Arbeitsrecht also den Arbeitnehmer - entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen (§ 307 BGB).

Nach der betrieblichen Einheitsregelung kann die Beklagte einseitig in der Zeit vom 1. April 2020 bis zum 31. Dezember 2020 Kurzarbeit anordnen, eine Ankündigungsfrist ist gar nicht vorgesehen. Doch in der Rechtsprechung gilt: Eine Vereinbarung über die einseitige Einführung von Kurzarbeit durch den Arbeitgeber verstößt gegen § 307 BGB, wenn Kurzarbeit ohne eine Ankündigungsfrist angeordnet werden kann. 

Die Pandemie und die aktuelle Lage im Betrieb spielen keine Rolle

Es reicht nicht, auf die Vorschriften zur Kurzarbeit aus dem SGB III zu verweisen. Das stellte das Gericht klar. Die im Streit stehende Vereinbarung werde den Anforderungen der Rechtsprechung nicht gerecht. Sie stelle sich letztlich als bloße Bezugnahme auf die Vorschriften zur Voraussetzung für Kurzarbeit dar. Mit ihr werde keine Ankündigungsfrist geregelt, auch werde Umfang und Ausmaß der Kurzarbeit nicht festgelegt.

Auf den konkreten Einzelfall kommt es nach Ansicht des Gerichts nicht an, da die Klausel generell nach § 307 BGB unwirksam ist.

Kläger hat der Kurzarbeit nicht zugestimmt

Nach Ansicht des Gerichts liegt auch keine konkludente Vereinbarung über Kurzarbeit vor. Dabei sei schon fraglich, ob die Beklagten mit ihrer Mitteilung vom 1. Oktober angeboten hat, eine Vereinbarung über Kurzarbeit abzuschließen. Aus Sicht eines objektiven Empfängers mache die Beklagte vielmehr Gebrauch von ihrem vermeintlichen Anordnungsrecht, ordne also einseitig Kurzarbeit an. Eine Zustimmung des Klägers habe man nicht für erforderlich gehalten.

Auch aus dem Verhalten des Klägers sei nicht zu schließen, dass dieser Kurzarbeit ab dem 5. Oktober zugestimmt habe. Warum habe er sonst die Krankschreibung eingereicht?

Dass er die Kurzarbeit in den vorherigen Monaten hingenommen hat, schließe seinen Lohnanspruch ebenfalls nicht aus.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig

Das beklagte Unternehmen hat Berufung beim Landesarbeitsgericht Hamm eingelegt. Hier wird es im November 2021 eine Entscheidung geben.

 

UPDATE: Es gab kein Urteil in zweiter Instanz, da die Parteien sich verglichen haben. Nach Einschätzung des Prozessbevollmächtigten des Klägers hätte sich das LAG der Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts Münster angeschlossen. 

 

 

LINKS:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Münster ist hier im Volltext nachzulesen

Allgemeine Infos zur Kurzarbeit und Corona gibt es in unseren FAQs.

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Kürzt die Kurzarbeit den Urlaub?

Das sagen wir dazu:

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Münster enthält viele günstige Punkte für Arbeitnehmer*innen. Angefangen bei der Klarstellung, dass der Arbeitgeber die Kurzarbeit gegenüber seinen Beschäftigten ankündigen und dafür eine Frist geregelt sein muss. Vom Bundesarbeitsgericht gibt es dazu noch nichts, wohl aber ein Urteil vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Az. 2 Sa 1230/10. Danach ist für eine rechtswirksame Anordnung der Kurzarbeit auf jeden Fall eine Ankündigungsfrist erforderlich. 

Das Gericht machte „kurzen Prozess“ mit dem Vortrag des Unternehmens zu der Ausnahmesituation, in der man sich in der Pandemie befunden habe. Das AGB-Recht gilt unumstößlich.

Und auch auf die Schiene, der Kläger sei ja schließlich mit der Kurzarbeit einverstanden gewesen, ließ man sich nicht bringen.

Eins zeigt der Fall zudem: Oft sind Dinge, die den Parteien vor Gericht wichtig erscheinen, letztlich nicht relevant. Hier stritten sie darüber, wann die Info über die Kurzarbeit ab dem 5. Oktober den Mitarbeiter tatsächlich erreicht hat. Laut dem Kläger war das erst Mitte Oktober, der Arbeitgeber will das Schreiben am gleichen Tag (das Schreiben datiert auf den 1. Oktober) zur Post gegeben haben.

Letztlich brauchte das Gericht dies jedoch gar nicht klären, da es rechtlich ohne Belang war, ob das Unternehmen nicht nur eine kurze, sondern gar keine Frist eingehalten hatte.  

Rechtliche Grundlagen

§ 307 BGB Inhaltskontrolle

(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.