„Geld stinkt nicht“  -  Mit diesen Worten wurde schon im „alten Rom“ eine Toilettensteuer begründet. Dorothee Müller-Wenner
„Geld stinkt nicht“ - Mit diesen Worten wurde schon im „alten Rom“ eine Toilettensteuer begründet. Dorothee Müller-Wenner

Für große mediale Aufmerksamkeit hatte das „Toilettengeld-Urteil“ des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen gesorgt. Danach ist das Geld auf den Toilettenschalen Trinkgeld und gehört dem Toilettenpersonal. Mit diesem Fall hat sich das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm nur kurz befasst und die Berufung der Arbeitgeberin als unzulässig verworfen, weil die Berufungssumme von 600,- € nicht erreicht werde. Nun steht fest, dass das Reinigungsunternehmen den Arbeitnehmern Auskunft darüber erteilen muss, wie viel Toilettengeld es eingenommen hat.

Geldteller und Personal im weißen Kittel

Die Situation kennt jeder. Am Eingang zur Toilettenanlage befindet sich der Geldteller; daneben steht oder der sitzt eine Frau oder ein Mann im weißen Kittel, die die Besucher begrüßen, sich für die auf den Teller gelegte Münze bedanken und sich immer wieder Münzen in die Kitteltasche stecken. Hinweise, wem das Geld zugutekommt, fehlen in der Regel. So war es auch in den beiden Fällen, über die das Arbeitsgericht Gelsenkirchen zu entscheiden hatte.

Toilettengeld ist Trinkgeld

Eine Umfrage unter Toilettenbesuchern hätte sicher die Entscheidung des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen bestätigt. Auf die Frage, wem das Geld auf dem Teller gehört, hätten sicher die meisten geantwortet, dass das Geld für das Personal bestimmt ist. Von dieser Zweckbestimmung des Geldes, von dem die Besucher ausgehen, lässt sich auch das Arbeitsgericht in seiner Entscheidung leiten. Aber was für den juristischen Laien im Ergebnis klar ist, fordert eine juristisch komplexe Begründung. Das zeigt das lesenswerte Urteil vom 21.1.2014. 

Was unter einem Trinkgeld zu verstehen ist, ist gesetzlich geregelt (§ 107 Abs.3 S.2 Gewerbeordnung). Danach ist Trinkgeld ein Geldbetrag, den ein Dritter (also etwa ein Gast im Lokal) dem Arbeitnehmer zusätzlich zu dem zahlt, was er dem Arbeitgeber, also zum Beispiel dem Betreiber des Lokals für den Verzehr von Speisen und Getränken, schuldet. Zwar muss der Besucher der Toilettenanlage dem Betreiber der Anlage gerade kein Nutzungsentgelt zahlen. Das schließt aber nicht aus, dass das Toilettengeld Trinkgeld ist, da es ausreicht, dass der Betreiber der Anlage von anderer Seite für die Unterhaltung der Toilettenanlage Geld erhält. 
Entscheidend ist die Beurteilung der Umstände, unter denen die Zahlung des Toilettengeldes erfolgt. Das Aufstellen des Tellers wird vom Arbeitsgericht als stillschweigende Aufforderung an die Toilettenbesucher bewertet, ein Trinkgeld an das Personal zu zahlen, und nicht als Aufforderung, ein freiwilliges Nutzungsentgelt zu entrichten. Für dieses Verständnis sprechen die Anwesenheit der Beschäftigten in der Nähe des Tellers, die persönliche Begrüßung, durch die bewusst ein Kontakt zum Besucher hergestellt wird, sowie schließlich der Umstand, dass das Geld in die Kitteltasche gesteckt wird. Wer dies tut, macht ganz deutlich, dass ihm das Geld gehört. Es besteht  - nach Auffassung des Arbeitsgerichts - auch kein Erfahrungssatz oder eine allgemeine Übung dahingehend, dass die Geldbeträge dem Unternehmen zufließen oder stets dem Unterhalt der Anlage dienen. Ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Hinweis geht der Besucher davon gerade nicht aus. Im vom Arbeitsgericht entschiedenen Fall hatte das Unternehmen Hinweisschilder, die darüber aufklärten, dass das Toilettengeld der Reinigung und der Unterhaltung diene, sogar wieder entfernt.

Keine Verpflichtung der Beschäftigten, das Trinkgeld an den Arbeitgeber abzugeben

Die Beschäftigten wussten – anders als die Besucher – dass ihnen das Geld auf dem Teller nicht gehören sollte. Sie hatten nämlich mit der Arbeitgeberin eine Vereinbarung geschlossen, in der sie sich verpflichteten, das Toilettengeld abzuführen. Nach Auffassung des Gerichts war diese Vereinbarung jedoch sittenwidrig und daher unwirksam. Hierzu finden sich im Urteil deutliche Worte: Die Beschäftigten werden unter Ausnutzung ihrer gegenüber ihrem Arbeitgeber wirtschaftlich und strukturell schwächeren Position um ihr Trinkgeld gebracht. Die Sittenwidrigkeit liegt im „Geschäftsmodell“ des Unternehmens, das darauf angelegt ist, den Besuchern der Toilettenanlage den eigentlichen Verwendungszweck des Geldes nicht zu offenbaren; dadurch soll deren Freigebigkeit erhöht werden, weil sie in dem Glauben gelassen werden, sie besserten das Gehalt des Toilettenpersonals auf. Die Beschäftigten werden also einerseits bewusst für die Einnahme von Trinkgeldern eingesetzt, sollen andererseits von der für sie bestimmten Einnahme aber nicht profitieren. Das ist sittenwidrig. Die Beschäftigten müssen daher die Trinkgelder nicht abgeben, obwohl sie sich dazu gegenüber ihrer Arbeitgeberin verpflichtet hatten.

Bald könnte Geld an die Beschäftigten fließen

Das Arbeitsgericht hat bislang zwar nur entschieden, dass das Unternehmen den Beschäftigten wahrheitsgemäß und vollständig Auskunft über die eingenommenen Trinkgelder erteilen muss. Da die Berufung des Unternehmens beim LAG Hamm erfolglos war, steht nun aber fest, dass die Auskunft zu erteilen ist. Schon das verspricht spannend zu werden; denn nach Angaben der Beschäftigten soll ihre Arbeitgeberin an normalen Tagen bis zu 1000 EUR und an Spitzentagen mehrere 1000 EUR über die Teller erwirtschaftet haben. Erst nach Auskunftserteilung kann der Anspruch der einzelnen Beschäftigten, die das Trinkgeld untereinander teilen müssen, errechnet und Geldbeträge anschließend ausgezahlt werden. 


Geschäftsmodell am Ende

 

Es ist anzunehmen, dass  mit der Entscheidung des LAG Hamm das bisherige Geschäftsmodell, das auf der Unkenntnis der Toilettenbesucher über die Verwendung der Gelder beruhte, am Ende ist. Werden in Zukunft Hinweisschilder aufgestellt und der Besucher aufgeklärt, dass das Geld der Reinigung und Unterhaltung der Anlage dient, werden sich die Besucher voraussichtlich weniger freigebig zeigen, und sich ohne Münze und ohne schlechtes Gewissen nur noch freundlich vom Toiletten-Personal verabschieden.

Dorothee Müller-Wenner - Dortmund

 

Den vollständigen Text eines der gleichlautenden Urteile finden Sie hier:
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/arbg_gelsenkirchen/j2014/1_Ca_1603_13_Teilurteil_20140121.html