25 Jahre MDK Geschäftsführer auf Abwegen. Copyright by Adobe Stock / snowing12
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Gegen den seit 1988 beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz (MDK) als Geschäftsführer tätigen Kläger wurden 2013 anonym Vorwürfe erhoben. Hieraufhin veranlasste der Beklagte eine Sonderprüfung.

Das Ergebnis dieser Prüfung veranlasste den Beklagten, den Anstellungsvertrag mit dem Kläger am 16. Oktober 2013 außerordentlich fristlos zu kündigen. Über die mit dieser Kündigung geltend gemachten Gründe hinaus schob der Beklagte im Oktober 2015 und April 2016 weitere Kündigungsgründe nach, mit denen er erneute außerordentliche Kündigungen begründete.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass sein Anstellungsverhältnis bei dem Beklagten nicht durch die außerordentlichen Kündigungen beendet wurde. Überdies machte er Gehaltszahlungen; die Überlassung eines Dienstwagens sowie des Dienstsmartphons geltend.

Erfolgreich in der ersten Instanz

Das Landgericht (LG) gab der Klage im Wesentlichen statt. Es stellte die Unwirksamkeit der drei Kündigungen fest - teils aus formalen Gründen, teils weil ein Grund für die außerordentliche Kündigung nicht vorliege.

Gegen das Urteil des LG legten die streitenden Parteien Rechtsmittel beim Oberlandesgericht (OLG) ein.

Erstinstanzliche Entscheidung auf dem „OLG-Prüfstand“

Zu einem anderen Ergebnis als das LG kam das OLG in seiner Entscheidung vom 8. Juli 2020.
Das Berufungsgericht schloss sich der Rechtsauffassung des Beklagten an und stellte die Wirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 16. Oktober 2013 fest. Denn diese sei innerhalb der einzuhaltenden zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist erfolgt. Auch seien die von dem Beklagten geltend gemachten Kündigungsgründe überwiegend berechtigt. Zumindest bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls sei die außerordentliche Beendigung des Anstellungsverhältnisses zu rechtfertigen. Auch, so das OLG, habe der Beklagte, wie im Oktober 2015 und im April 2016 geschehen, Kündigungsgründe nachschieben dürfen.

Verwaltungsrat rechtzeitig unterrichtet

Im Hinblick auf den Beginn der Frist sei der Zeitpunkt maßgebend, in dem der Verwaltungsrat als das zum Ausspruch der Kündigung berechtigte Organ in seiner Gesamtheit Kenntnis von den Kündigungsgründen erlangt hat. Dies sei erst in der Sitzung am 16. Oktober 2013 der Fall gewesen. Da die außerordentliche Kündigung am selben Tag ausgesprochen worden sei, sei diese rechtzeitig.

Entgegen der Annahme des Klägers sei die Kenntniserlangung des Verwaltungsrates auch nicht verzögert worden. Soweit im Vorfeld der Kündigung eine Sonderprüfung durchgeführt und hierbei ein „vorläufiger Zwischensachstandsbericht" vorgelegt wurde, habe dies keinen Einfluss auf den Beginn der Kündigungsfrist gehabt.

Denn der Kündigungsberechtigte darf bei einem Verdacht zunächst Ermittlungen anstellen, die allerdings mit der gebotenen Eile durchzuführen sind. Erst wenn der zur Kündigung Berechtigte durch die Ermittlungen eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt und den erforderlichen Beweismitteln habe, wenn also die Ermittlungen abgeschlossen sind, beginne die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist zu laufen. Der Verwaltungsrat sei auch ohne unangemessene Verzögerung einberufen und über das Ermittlungsergebnis informiert worden.

Gesamtabwägung aller Umstände rechtfertigen fristlose Kündigung

Der Beklagte habe seine Kündigung auch auf Gründe gestützt, die zumindest bei einer Gesamtabwägung aller Umstände des konkreten Falles die außerordentliche Kündigung rechtfertigten. Maßgeblich seien insoweit folgende verhaltensbedingte Kündigungsgründe:

  • Erwerb von 50 Exemplaren eines vom Kläger als Co-Autor verfassten Buches über das Gleitschirmfliegen (“Unterwegs mit dem Gleitschirm“) mit Mitteln des Beklagten. Hierdurch habe der Kläger, auch wenn es sich bei den entstandenen Kosten von 930 € um einen relativ geringen Betrag handele, gegen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstoßen.
  • Der Kläger hat vergaberechtswidrig einen Allradschleppers im Jahre 2013 zu einem Bruttopreis von 37.458 € beschafft. Damit habe er nicht nur gegen den Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung verstoßen, sondern auch die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verletzt.
  • Gegenüber dem stellvertretenden Geschäftsführer des Beklagten drohte der Kläger, dass er denjenigen umbringen werde, der ihm „seinen“ MDK wegnehme, und dass er bereit sei, dafür ins Gefängnis zu gehen. Die Äußerung sei geeignet, das Vertrauensverhältnis zum Beklagten nachhaltig zu stören.


Bei der gebotenen Gesamtwägung ist nach Auffassung des Senats über die genannten Kündigungsgründe hinaus zu berücksichtigen, dass den Kläger weitere Verstöße gegen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit träfen, indem während seiner Tätigkeit als Geschäftsführer:

  • ihm selbst ab 1. Januar 2012 eine - ursprünglich vor dem Hintergrund einer Vertretungssituation bewilligte - Gehaltszulage in Höhe von 10 Prozent des Grundgehalts dauerhaft gewährt wurde, und
  • den beiden alternierenden Verwaltungsratsvorsitzenden jeweils ein neues Notebook (Stückpreis 1.550 €) und ein neuwertiges Smartphone (monatlicher Grundpreis incl. Anschaffung und Flatrate je 74,39 €) zur uneingeschränkten - also auch zur privaten - Nutzung auf Kosten des Beklagten überlassen wurden.

Der Verstoß gegen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ziehe sich „wie ein roter Faden“ durch die Tätigkeit des Klägers.

Ferner sei im Rahmen der Gesamtabwägung zu berücksichtigen, dass

  • in kollusivem Zusammenwirken des Klägers und der damaligen alternierenden Verwaltungsratsvorsitzenden zu Lasten des Beklagten wiederholt Änderungen im Anstellungsvertrag des Klägers vorgenommen worden seien, wobei es unter anderem darum gegangen sei, Kündigungsmöglichkeiten des Beklagten zu erschweren bzw. auszuschließen.


Nach alledem erweise sich die Kündigung in der Gesamtabwägung als gerechtfertigt. Die von dem Kläger geltend gemachten weiteren Ansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis (weitere Gehaltszahlungen; Überlassung eines Dienstwagens und Dienstsmartphons) stünden diesem nicht zu.

Im Gegenteil: Auf die Widerklage des Beklagten hat der Senat den Kläger verurteilt, zu viel gezahltes Gehalt in Höhe von 4.235,54 € zurückzuzahlen, sowie das sich noch immer in seinem Besitz befindliche Dienstfahrzeug und Dienstsmartphon herauszugeben.

Hier geht es zur Pressemitteilung des Oberlandesgericht Koblenz vom 8.7.2020:

Rechtliche Grundlagen

§ 626 BGB

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 626 BGB - Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.

(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen