Trotz schwerwiegender gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Mitarbeiterin ist auch in der Briefverteilung ein Einsatz möglich. Copyright by Adobe Stock/janvier
Trotz schwerwiegender gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Mitarbeiterin ist auch in der Briefverteilung ein Einsatz möglich. Copyright by Adobe Stock/janvier

Stefan Kirsch vom DGB Rechtsschutzbüro Heilbronn vertrat die Klägerin vor dem Arbeitsgericht. Diese war schon seit etwa 20 Jahren bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Der Arbeitsvertrag nannte keine konkrete Beschäftigung, sondern nur die Lohngruppe der Klägerin. Wegen einer schweren Erkrankung der Wirbelsäule erhielt die Klägerin eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit einem Grad der Behinderung von 80 war die Klägerin auch schwerbehindert.
 

Nach der Rente wollte die Klägerin wieder arbeiten

Nach Ablauf ihrer Zeitrente wollte sie ihre Arbeit wieder aufnehmen und bot dem Arbeitgeber ihre Arbeitskraft wieder an. Dieser ließ die Klägerin betriebsärztlich untersuchen. Anschließend teilte er ihr mit, er sehe keine Möglichkeit, sie wieder einzusetzen. Ihre körperlichen Beeinträchtigungen seien so schwerwiegend, dass sie keine Arbeiten mehr ausüben könne, bei welchen sie auch nur geringe Gewichte heben müsse. Sie könne außerdem nicht mehr länger stehen.
 
Der Arbeitgeber führte kein Präventionsverfahren durch. Er bot der Klägerin auch kein betriebliches Eingliederungsmanagement an. Daraufhin erhob die Klägerin Klage beim Arbeitsgericht. Sie wollte damit erreichen, ihre letzte berufliche Tätigkeit als Briefsortiererin wieder aufnehmen zu dürfen. Das Arbeitsgericht gab ihrem Antrag im Wesentlichen statt.
 

Der Antrag im Klageverfahren muss möglichst konkret sein

Die Klägerin könne eine Beschäftigung in der Lohngruppe verlangen, die im Arbeitsvertrag vereinbart sei. Wolle ein*e Arbeitnehmer*in eine bestimmte berufliche Tätigkeit gerichtlich durchsetzen, müsse er*sie im Antrag grundsätzlich die begehrte Beschäftigung konkret bezeichnen. Bei einer Entscheidung des Gerichts müsse klar sein, in welcher Art und in welchem Umfang der Anspruch auf Beschäftigung bestehe. Die Betroffenen müssten präzise beschreiben, wie der Arbeitgeber sie beschäftigen müsse.
 
Falls der Arbeitgeber ihn nämlich später trotz des Urteils nicht beschäftigen würde, müsse es der Kläger vollstrecken. Das könne er aber nur, wenn die Tätigkeit im Tenor des Urteils konkret bezeichnet worden sei. Dies gelte insbesondere, wenn die Parteien darüber stritten, wie eine leidensgerechte Beschäftigung zu erfolgen habe.
 

Der Arbeitgeber muss Kenntnisse und Fähigkeiten berücksichtigen

Nach dem Gesetz hätten schwerbehinderte Menschen gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Anspruch auf eine Beschäftigung, bei welcher sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiter entwickeln könnten.
 
Diese Konstellation liege bei der Klägerin jedoch nicht vor. Sie berufe sich nämlich keineswegs nur auf einen konkreten Arbeitsplatz. Ihr gehe es vielmehr um eine vertragsgemäße Beschäftigung. Der Arbeitsvertrag sehe keine nähere Bestimmung der konkreten Tätigkeit vor. Er enthalte nur einen Hinweis auf die vereinbarte Lohngruppe. Der Arbeitgeber könne kraft seines Direktionsrechts der Klägerin damit irgendeine Tätigkeit zuweisen, die der vereinbarten Lohngruppe entspräche.
 

Der Arbeitgeber muss seine Arbeitnehmer fördern

Der Arbeitgeber dürfe den Arbeitnehmer dabei nicht einseitig von der Arbeit suspendieren. Er habe eine Pflicht, seine Arbeitnehmer im Hinblick auf deren Beschäftigungsinteresse zu fördern. Dies sei nur dann anders, wenn dem überwiegende schützenswerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstünden.
 
Sei die Arbeitsleistung unmöglich, bestünde kein Anspruch auf Beschäftigung. Dies gelte insbesondere dann, wenn der*die Arbeitnehmer*in aufgrund einer Krankheit arbeitsunfähig sei. Die Klägerin sei aber nicht schon deshalb krankheitsbedingt arbeitsunfähig, weil sie Leistungseinschränkungen aufweise.
 

Der Arzt stellt die Arbeitsunfähigkeit nach objektiven Maßstäben fest

Die Arbeitsunfähigkeit stelle ein Arzt fest. Dabei müsse dieser eine Bewertung des Gesundheitszustands nach objektiven Maßstäben vornehmen. Arbeitsunfähigkeit liege vor, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht mehr ausüben könne.
 
Warum eine Beschäftigung der Klägerin nicht mehr möglich sei, habe der Arbeitgeber hier nicht ausreichend dargetan. Halte der Arbeitgeber die Arbeitsleistung der Klägerin nicht mehr für möglich, müsse er das beweisen. Dazu hätte er dem Gericht erläutern müssen, welche Tätigkeit in seinem Unternehmen der Lohngruppe angehörten, in die die Klägerin eingruppiert sei.
 

Der Arbeitgeber muss auch mögliche Hilfsmittel in Erwägung ziehen

Der Arbeitgeber habe im Prozess zwar unter anderem die Tätigkeiten in der Briefsortierung beschrieben.  Er meinte, die Klägerin könne dort nicht arbeiten. Sie müsse bei dieser Arbeit überwiegend stehen und auch Briefkörbe mit höheren Gewichten anheben.
 
Das Gericht bezweifele, dass es dafür keinerlei Möglichkeiten der Unterstützung für die Klägerin gebe. Zu denken sei etwa an eine Stehhilfe oder auch Transporthilfen für die Briefkörbe. Damit reduziere der Arbeitgeber die Belastungen der Klägerin erheblich.
 

Es gab kein Präventionsverfahren und auch kein betriebliches Eingliederungsmanagement

Erschwerend komme aber hinzu, dass die Beklagte nach dem Gesetz die Pflicht gehabt hätte, ein Präventionsverfahren und ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Bei der Klägerin liege ein GdB von 80 vor. Sie gehöre damit dem Kreis der schwerbehinderten Menschen an.
 
Sowohl das Präventionsverfahren als auch das betriebliche Eingliederungsmanagement dienten unter anderem dazu, abzuklären, ob ein zukünftiger, leidensgerechter Einsatz eines schwerbehinderten Menschen oder langzeiterkrankten Arbeitnehmers im Betrieb möglich sei.
 

Führt der Arbeitgeber keine Präventionsmaßnahmen durch, hat das prozessuale Folgen

Der Arbeitgeber müsse diese Verfahren aus eigener Initiative heraus einleiten. Unterbleibe diese Initiative, habe das prozessuale Folgen. Berufe sich der Arbeitgeber darauf, den*die betroffene*n Arbeitnehmer*in zukünftig krankheitsbedingt nicht mehr beschäftigen zu können, müsse er vortragen, weshalb der weitere Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht möglich sei. Er müsse außerdem darlegen und beweisen, dass auch eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung des Arbeitsplatzes nicht möglich sei.
 
Schließlich müsse der Arbeitgeber außerdem vortragen, weshalb er den*die Arbeitnehmer*in auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit einsetzen könne. Erst wenn er diese Pflicht der Darlegung im Prozess erfüllt habe, sei es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf konkret einzulassen und selbst darzulegen, wie eine leidensgerechte Beschäftigung aussehen könne.
 

Der Arbeitgeber genügte den prozessualen Anforderungen nicht

Diesen prozessualen Anforderungen habe der Arbeitgeber nicht genügt. Die Klägerin könne deshalb verlangen, dass er sie entsprechend ihrem Arbeitsvertrag und leidensgerecht beschäftige. Er müsse auf die Behinderung der Klägerin Rücksicht nehmen.

Hier geht es zum Urteil

Das sagen wir dazu:

Wie so oft auch hier wieder ein Fall, bei dem das Arbeitsgericht deutlich feststellt, dass das Gesetz es ernst meint, wenn es die Pflicht des Arbeitgebers festlegt, Präventionsverfahren bzw. ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen.

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Betriebliches Eingliederungsmanagement

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Deutlich wird in diesem Verfahren außerdem, dass es immer wieder wichtig ist, die Regeln des arbeitsgerichtlichen Prozesses zu kennen. Wer wann was darlegen und beweisen muss wirkt sich auf das Ergebnis fast jedes Prozesses aus. Die Prozessvertretung der DGB Rechtsschutz GmbH können hier auf eine jahrelange Erfahrung zurückgreifen. In Verfahren, die zunächst aussichtslos erschienen, kann man wie dieser Fall hier zeigt durchaus große Erfolge erzielen.

Auch dazu hatten wir bereits berichtet:

Prozessuale Vorschriften – eine Qual für Betroffene

Rechtliche Grundlagen

§ 164 SGB IX; § 167 SGB IX

§ 164 Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen

(1) Die Arbeitgeber sind verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Sie nehmen frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf. Die Bundesagentur für Arbeit oder ein Integrationsfachdienst schlägt den Arbeitgebern geeignete schwerbehinderte Menschen vor. Über die Vermittlungsvorschläge und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen haben die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen unmittelbar nach Eingang zu unterrichten. Bei Bewerbungen schwerbehinderter Richterinnen und Richter wird der Präsidialrat unterrichtet und gehört, soweit dieser an der Ernennung zu beteiligen ist. Bei der Prüfung nach Satz 1 beteiligen die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Absatz 2 und hören die in § 176 genannten Vertretungen an. Erfüllt der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht und ist die Schwerbehindertenvertretung oder eine in § 176 genannte Vertretung mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden, ist diese unter Darlegung der Gründe mit ihnen zu erörtern. Dabei wird der betroffene schwerbehinderte Mensch angehört. Alle Beteiligten sind vom Arbeitgeber über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten. Bei Bewerbungen schwerbehinderter Menschen ist die Schwerbehindertenvertretung nicht zu beteiligen, wenn der schwerbehinderte Mensch die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausdrücklich ablehnt.
(2) Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
(3) Die Arbeitgeber stellen durch geeignete Maßnahmen sicher, dass in ihren Betrieben und Dienststellen wenigstens die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen eine möglichst dauerhafte behinderungsgerechte Beschäftigung finden kann. Absatz 4 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
(4) Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf

1.
Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können,
2.
bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens,
3.
Erleichterungen im zumutbaren Umfang zur Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung,
4.
behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfelds, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr,
5.
Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen

unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung. Bei der Durchführung der Maßnahmen nach Satz 1 Nummer 1, 4 und 5 unterstützen die Bundesagentur für Arbeit und die Integrationsämter die Arbeitgeber unter Berücksichtigung der für die Beschäftigung wesentlichen Eigenschaften der schwerbehinderten Menschen. Ein Anspruch nach Satz 1 besteht nicht, soweit seine Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen.
(5) Die Arbeitgeber fördern die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen. Sie werden dabei von den Integrationsämtern unterstützt. Schwerbehinderte Menschen haben einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist; Absatz 4 Satz 3 gilt entsprechend.


§ 167 Prävention

(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.
(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich, wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Absatz 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.
(3) Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter können Arbeitgeber, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern.