Nimmt der Praktikums-Geber eine reguläre Arbeitsleistung ab, liegt ein Arbeitsverhältnis vor, das monatliche Lohnansprüche einschließt.
Nimmt der Praktikums-Geber eine reguläre Arbeitsleistung ab, liegt ein Arbeitsverhältnis vor, das monatliche Lohnansprüche einschließt.


Die Klägerin studierte das Fach »Modejournalistin«. Kurz vor Abschluss des Studiums bewarb sie sich auf eine Stelle als »Redaktionspraktikantin« einer Modezeitschrift. Das Praktikum war nach der Studienordnung nicht vorgesehen.
 
Der Praktikumsvertrag enthielt folgende Bedingungen: Das Praktikum dient zum Erwerb von Erfahrungen und Kenntnissen, als Dauer wird ein Jahr vereinbart, die tägliche »Ausbildungszeit« liegt bei mindestens acht Stunden, die monatliche Vergütung bei 400,00 Euro.
 

Klägerin erbringt volle Arbeitsleistung

 
Die Praktikantin hatte jährlich 25 Urlaubstage, bei Krankheit innerhalb von drei Tagen ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit ist eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen. Die Beklagte verpflichtete sich, der Praktikantin berufliche Erfahrungen und Kenntnisse zu vermitteln.
 
Die Klägerin arbeitete vom 04.11.2013 bis zum 03.09.2014 in der Redaktion. Sie verfasste kurze Texte und Produktbewertungen für das Magazin. Sie redigierte Texte ihres Ausbilders. Zudem erstellte sie selbst Texte für die Print- und Online Ausgabe. Sie wirkte bei der Gestaltung und Pflege des Internetauftritts mit. Sie organisierte eigenständig Fotoshootings und führte allein mehrere Promotion-Gespräche für die Zeitschrift mit potentiellen Kunden.
 
Eine Betreuung und Ausbildung durch die Beklagte sei nicht erfolgt, so die Klägerin. Der Ausbildungszweck sei völlig in den Hintergrund getreten. Die Beklagte meint, die Klägerin habe nur unter Aufsicht und Schulung der Mitarbeiter der Beklagten an Texten mitgewirkt. Dies gelte auch für die Pflege des Internetauftritts.
 

Vergütungsvereinbarung wegen Wucher nichtig

 
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg entschied, dass zwischen der Klägerin und der Beteiligungsgesellschaft, die das Magazin herausgibt, ein Arbeitsverhältnis bestand. Die Vergütungsvereinbarung im Praktikumsvertrag ist wegen Sittenwidrigkeit nichtig.
 
Ein sittenwidriges, wucherähnliches Geschäft liegt vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem krassen Missverhältnis zueinander stehen. Erreicht die Vergütung nicht einmal zwei Drittel der üblicherweise in der Branche gezahlten Vergütung, so ist dies der Fall.
 
Das Missverhältnis springt ins Auge. Ein Tarifvertrag findet üblicherweise Anwendung, wenn mehr als fünfzig Prozent der Arbeitgeber tarifgebunden sind. Ansonsten kommt es auf die ortsübliche Vergütung an.
 

Arbeitsverhältnis statt Praktikum

 
Ein Praktikum liegt vor, wenn jemand vorübergehend in einem Betrieb tätig wird, um zur Vorbereitung auf einen Beruf sich die notwendigen praktischen Kenntnisse Erfahrungen anzueignen. Die Vergütung, sofern eine gezahlt wird, stellt eine Art Aufwandsentschädigung dar.
 
Die Praktikumsvereinbarung setzt also voraus, dass der Ausbildungszweck im Vordergrund steht. Eine Legaldefinition des Begriffs »Praktikum« gibt es erstmals in § 22 Abs. 1 Satz 3 Mindestlohngesetz (MiloG).
 
Demgegenüber liegt ein Arbeitsverhältnis bei folgender Ausrichtung vor: wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Dazu gehören Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit, welche der Arbeitnehmer im Wesentlichen nicht frei gestalten kann.
 

Beweislast und Lohnanspruch

 
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses trifft die Klägerin. Der Praktikumsvertrag enthält typische Arbeitnehmerpflichten. Dazu gehört die Arbeitszeit, die Urlaubsregelung, den Weisungen der Beklagten zu folgen, die Dauer von einem Jahr in Vollzeit und die Pflicht zur Meldung der Arbeitsunfähigkeit. Diese Punkte konnte die Beklagte nicht widerlegen.
 
Der Klägerin steht – unter Anrechnung des gezahlten Betrags – die vekehrsübliche Bezahlung zu. Einschlägig und üblich war in diesem Fall die Bezahlung nach dem Gehaltstarifvertrag (GTV) der Redakteurinnen und Redakteure für Zeitschriften.
 
Das Gericht sprach der Klägerin daher noch rund 20.700 Euro an Arbeitslohn zu.
 

Praxistipp: Mitbestimmung bei Praktika

 
Praktika nehmen zu. Betriebsräte müssen bei der Beschäftigung von Praktikanten beteiligt werden. Der Betriebsrat kann Auskunft über den Einsatz von Praktikanten im Betrieb verlangen. Einschlägig im Betriebsverfassungsgesetz BetrVG sind die Auskunfts- und Beteiligungsrechte nach 80 BetrVG (allgemeine Pflichten) und § 92 BetrVG (Personalplanung).
 
Der Betriebsrat muss erkennen können, um welche Art Praktikum es sich handelt. Er sollte sich den Praktikumsvertrag zeigen lassen. Zudem kann die Inaugenscheinnahme des Praktikumsplatzes nicht schaden.
 
Der Praktikant sollte zu seinen Aufgaben befragt werden. Ein weiteres Mitbestimmungsrecht ergibt sich aus § 98 BetrVG. Nach dieser Vorschrift hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Durchführung von betrieblichen Bildungsmaßnahmen.
 
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: „AiB-Newsletter, Rechtsprechung für den Betriebsrat“ des Bund-Verlags, Ausgabe 34/2016 vom 07.12.2016.


Links


Urteil LAG Berlin-Brandenburg


Lesen Sie auch

50.000 € Nachzahlung für Praktikumsvertrag

Praktikanten - Billige Arbeitskräfte? Gegenwehr kann sich lohnen!

Praktikum zählt nicht als Probezeit

Rechtliche Grundlagen

§ 138, § 612 BGB

§ 138 Sittenwidriges Rechtsgeschäft; Wucher

(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.

(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.

§ 612 Vergütung

(1) Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

(2) Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, so ist bei dem Bestehen einer Taxe die taxmäßige Vergütung, in Ermangelung einer Taxe die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen.