Sonderzahlung kann nur gestrichen werden, wenn die entsprechende Regelung klar und verständlich formuliert ist. Copyright by Butch/fotolia
Sonderzahlung kann nur gestrichen werden, wenn die entsprechende Regelung klar und verständlich formuliert ist. Copyright by Butch/fotolia

Mit seinem Urteil sorgt das Landesarbeitsgericht Hamburg für etwas mehr Klarheit in Sachen Allgemeine Geschäftsbedingungen. Der Kläger, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, ist seit März 1999 bei der Beklagten, einer Herstellerin von Bürokommunikationssystemen, als Servicetechniker beschäftigt.
 

Anspruch auf Sonderzahlung nach Arbeitsvertrag

Die monatliche Vergütung beträgt rund 2.700 EUR brutto. Es besteht beiderseitige Tarifbindung. Der Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1999 regelt unter anderem unter „4. Jahresleistung/Sonderzahlung“:

 

  1. Die Gewährung einer Jahresleistung/Sonderzahlung erfolgt auf Basis eines Tarifgehaltes. In 1999 beträgt der Anspruch anteilig 10/12

  2. Auszahlungszeitpunkt ist nach Tarifvertrag November des Jahres

  3. Der Anspruch auf eine freiwillige Sonderzahlung besteht nach einer ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten

  4. „Es besteht kein Anspruch auf die freiwillige Sonderzahlung, wenn das Arbeitsverhältnis in der Zeit von November bis März des Folgejahres beendet wird oder die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber fristlos erfolgt."

 

Der anwendbare Manteltarifvertrag für den Groß-und Außenhandel Niedersachsen normiert unter § 12  - Sonderzahlungen  - Ziffer 6.1:
 
„Sonderleistungen des Arbeitgebers wie Weihnachtsgeld, Gratifikationen […] gelten als Sonderzahlungen im Sinne dieses Tarifvertrages und erfüllen den tariflichen Anspruch, soweit sie die Höhe der tariflich zu erbringende Leistung erreichen“
 

Beklagte versendet Videobotschaft

Im November 2016 wandte sich die Geschäftsführung der Beklagten an die Belegschaft  - mittels Videobotschaft. Sie teilte mit, dass aufgrund wirtschaftlicher Gründe lediglich das tarifliche Weihnachtsgeld gezahlt würde. Eine übertarifliche Sonderzahlung würde von ihr nicht gezahlt. Mit dem Gehalt für den Monat November 2016 zahlte die Beklagte an den Kläger ein Weihnachtsgeld in Höhe von lediglich rund 270 Euro brutto. Das Tarifgehalt betrug rund 2.700 Euro brutto.
 
Der Lohntarifvertrag für den Groß- und Außenhandel in Niedersachsen vom Juli 2015 sieht vor, dass gewerbliche Arbeitnehmer nach zweijähriger Betriebszugehörigkeit eine Zulage in Höhe von 4,09 EUR pro Woche erhalten.
 
Einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1998 zufolge ist diese Zulage abgegolten durch eine Sonderzahlung in Höhe eines monatlichen Tarifgehaltes. Diese Sonderzahlung in Form eines zusätzlichen monatlichen Tarifgehaltes soll laut Betriebsvereinbarung anstelle der geringeren tariflichen Sonderzahlung gezahlt werden. Die Beklagte zahlte eine Zulage in Höhe von lediglich 212,68 Euro brutto.
 

Kläger klagt auch volle Sonderzahlung

Ende November wandte sich der Kläger an die Beklagte und forderte die Differenz zwischen einem Monatsgehalt und der tariflichen Sonderzahlung. Da die schriftliche Geltendmachung keinen Erfolg hatte, klagte er diese ein.
 
Vor dem Arbeitsgericht Hamburg hatte er Erfolg. Hier, wie auch im Berufungsverfahren wurde der Kläger von den Juristinnen und Juristen des DGB Rechtsschutz vertreten.
 
Das Arbeitsgericht stützte seine Entscheidung im Wesentlichen auf die Regelung im Arbeitsvertrag, wonach der Kläger Anspruch auf die Sonderzahlung „auf Basis eines Tarifgehalts“ hat. Ein eventuell entgegenstehender Freiwilligkeitsvorbehalt finde sich in dem maßgeblichen Absatz nicht.
 
Erst im vierten Absatz fände sich ein Bezug zu freiwilligen Leistungen. „Freiwillige Sonderzahlung“, normiere hier aber ohne Zusammenhang zur tariflich geschuldeten Leistung nur eine Wartezeit, so das Arbeitsgericht Hamburg. Diese Normierung könne so verstanden werden, dass es über die verbindliche tarifliche Sonderzahlung eben auch weitergehende freiwillige Sonderzahlungen geben kann.
 

Beklagte geht in Berufung

Die Beklagte wollte das Urteil des Arbeitsgerichts nicht akzeptieren und ging in Berufung. Weiterhin vertrat sie die Auffassung, wonach sich aus den Absätzen 4 und 5 im Arbeitsvertrag ergäbe, dass Sonderzahlungen lediglich freiwillig gezahlt würden. Eine Rechtspflicht bestehe daher gerade nicht, jedenfalls soweit tarifliche Ansprüche überschritten würden.
 
So sei es nach Ansicht der Beklagten lebensfremd, dass man sich in einem Arbeitsvertrag zu einer Leistung habe verpflichten wollen, die man nur als freiwillige Leistung gewollt habe. Es bestehe von Seiten der Beklagten diesbezüglich kein Rechtsbindungswille für die Zukunft.
 
Zur weiteren Untermauerung ihrer Position scheute sich die Beklagte auch nicht vor weit hergeholten Parallelen: So sah die Beklagte in der Rechtsprechung des Arbeitsgerichts einen Widerspruch zu der grundsätzlichen Interpretation von arbeitsvertraglichen Versetzungsklauseln.
 
Denn auch hier werde normiert, welche Tätigkeiten ein Arbeitnehmer auf Grundlage seines Arbeitsvertrages ausführen solle, andererseits behalte sich der Arbeitgeber aber die Zuweisung anderer Tätigkeiten vor. Freiwilligkeitsvorbehalte würden ebenfalls zunächst normieren, was ein Arbeitnehmer erhalten könne. Anderseits werde aber auch klargestellt, dass kein Anspruch darauf bestehe, die Leistung immerzu gewährt zu bekommen.
 

Hintergrund: AGB-Auslegung

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern verstanden werden. Hierbei ist eine Abwägung der Interessen der jeweiligen Verkehrskreise, also Arbeitnehmer und Arbeitgeber „mitzulesen“.
 
Ausgangspunkt ist zunächst der Wortlaut des Arbeitsvertrages. Ist hier keine Eindeutigkeit gegeben, kommt es darauf an, wie Arbeitnehmer und Arbeitgeber typischerweise die vertraglichen Regelungen verstehen.
 
Unklarheiten bei der Formulierung gehen gemäß § 305c Absatz 2 BGB zulasten des Verwenders der AGBs, also des Arbeitgebers.
 

LAG bestätigt Arbeitsgericht

Das Landesarbeitsgericht Hamburg folgt der Auffassung von Kläger und Arbeitsgericht. Maßgeblich für das LAG ist Ziffer 5 Absatz 1 Satz 1 des Arbeitsvertrages, wonach sich die Sonderzahlung auf Basis eines Tarifgehaltes ergibt.
Nach Ansicht des LAG Hamburg hat der Kläger einen Anspruch auf die höhere Sonderzahlung, weil ihm diese nach der Formulierung im Arbeitsvertrag „gewährt“ wird.
 
Eine derartige Formulierung ist ganz typisch für die Begründung eines Entgeltanspruchs, wie etwa auch im Falle eines Bonus oder einer Gratifikation. Ein weiteres Argument für die Ansicht des Klägers ergibt sich für das LAG daraus, dass auch die Höhe der Sonderzahlung präzise festgelegt ist, nämlich auf „Basis eines Tarifgehalts“.
 

Weitere Formulierungen stehen nicht entgegen

Dass Absatz 4 des Arbeitsvertrages von einer „freiwilligen Sonderzahlung“ spricht, steht nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Diese Formulierung bringt nur zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber zur Zahlung der hier gemeinten  - anderen - Sonderzahlung gerade nicht verpflichtet ist. Die Regelung genügt daher nicht, einen Anspruch des Klägers auszuschließen.
 
Nichts anderes ergibt sich aus der Erwähnung der anteiligen Höhe in Absatz 5 des Arbeitsvertrages. Hierin erblickt das LAG lediglich eine Regelung für den Beginn der Sonderzahlungen. Ebenfalls nicht überzeugt ist das LAG von den Absätzen 4 und 5, wonach ein Anspruch auf freiwillige Sonderzahlungen nach ununterbrochener Beschäftigung von sechs Monaten besteht.
 
Im Zusammenhang mit der Regelung, wonach dies wiederum nicht der Fall ist, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen November und März beendet wird, sieht das LAG einen Verstoß gegen das sogenannte Transparenzgebot, § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB.
 
Eine unangemessene Benachteiligung liegt vor, wenn die vertragliche Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Hier besteht nach Ansicht des LAG die Gefahr, dass ein Arbeitnehmer mangels klar formulierter AGBs seine Rechte nicht wahrnimmt.
 
Die Ziffern 4 und 5 des Arbeitsvertrages stehen im Widerspruch zu Ziffer 1. Einerseits wird die Sonderzahlung gewährt, dann soll sie aber doch nur freiwillig sein. Die unwirksame AGB wird ersatzlos gestrichen, der Vertrag bleibt im Übrigen aber bestehen, dies regelt § 306 Absatz 1 BGB.
 

Hier gehts zum Urteil des LAG Hamburg (PDF)
 

Das sagen wir dazu:

Dem Urteil des LAG Hamburg ist beizupflichten. Einmal mehr hat ein Arbeitgeber mittels widersprüchlichen AGBs ein Eigentor geschossen. Dabei ist der Streit zwischen Anspruchsgewährung, Freiwilligkeit und sogar Widerruf juristisch eigentlich ein alter Hut.

Weit hergeholt ist auch der Vergleich der Beklagten mit dem Weisungsrecht des Arbeitgebers. Hinter den beiden Dingen stehen verschiedene Überlegungen. Anspruchsbegründende Regelungen müssen verbindlich sein für die Gegenseite – der Arbeitnehmer muss wissen, womit der finanziell rechnen kann.

Demgegenüber ist beim Direktionsrecht Flexibilität bis zu einem gewissen Grad gewünscht. Letztlich wird der Arbeitnehmer hier vor einer eventuell notwendigen Änderungskündigung oder gar betrieblichen Kündigung geschützt.

Der Kläger hat hier jemanden gefragt, der sich mit der Angelegenheit auskennt: Als Gewerkschaftsmitglied hat der Kläger Anspruch auf Beratung und Vertretung vor Gericht durch eine Juristin oder einen Juristen. Die Frage nach den Kosten stellten sich für ihn nicht.

Rechtliche Grundlagen

§ 307 BGB

§ 307 Inhaltskontrolle
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.

(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder
2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.

(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.