Mit der Frage, ob ein Gewerkschaftsmitglied auch dann Ansprüche aus einem Tarifvertrag hat, wenn es erst dann in die Gewerkschaft eintritt, wenn der Tarifvertrag sich schon in der Nachwirkung befindet, hat sich jetzt das Bundesarbeitsgericht auseinander zu setzen.

Tarifverträge wirken nach – für Mitglieder der Gewerkschaft

Eine Verkäuferin im Einzelhandel ist in einem Unternehmen beschäftigt, das selbst nicht tarifgebunden ist. Allerdings bestand ein Anerkennungstarifvertrag mit ver.di, wonach die Tarifverträge für den Einzelhandel gelten sollten. 

Erst nachdem diese Einzelhandels-Tarifverträge 2013 gekündigt worden waren, ist die Verkäuferin ver.di-Mitglied geworden. Die Einzelhandels-Tarifverträge befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der sog. Nachwirkung.

Das heißt, die Regelungen gelten bis zum Abschluss eines neuen Tarifvertrages statisch, also unverändert weiter. Diese nachwirkenden tariflichen Ansprüche hat dann auch die Verkäuferin geltend gemacht.

Den Anspruch hat das Sächsische Landesarbeitsgericht abgewiesen. Rechtlich eindeutig ist dabei, dass durch den Beitritt zu einer Gewerkschaft erst im Zeitpunkt der Nachwirkung keine Tarifbindung mehr zustande kommen kann. Das heißt, dass dadurch der nachwirkende Tarifvertrag nicht mehr anwendbar wird.

Nicht eindeutig bei einem Anerkennungs-Tarifvertrag

Die Besonderheit des Falles lag jedoch darin, dass das Unternehmen selbst gar nicht an diese Einzelhandels-Tarifverträge gebunden war, sondern es dazwischen noch den Anerkennungs-Tarifvertrag gab. Danach sollten die Einzelhandels-Tarifverträge „in ihrer jeweils gültigen Fassung“ gelten. Und dieser Anerkennungstarifvertrag war noch ungekündigt, als die Klägerin ver.di-Mitglied wurde, so dass er zwischen der Arbeitnehmerin und dem Arbeitgeber unmittelbar Anwendung fand.

Das Gericht musste deshalb durch Auslegung ermitteln, ob durch den Anerkennungstarifvertrag auf die in Bezug genommenen Tarifverträge in ihrem jeweiligen Geltungszustand - hier also in der Nachwirkung - verwiesen wird, oder ob die Tarifverträge durch die Verweisung in jedem Geltungszustand zwingend übernommen werden sollten.

Aufgrund der Formulierung des Anerkennungstarifvertrages ist das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass hier die Tarifverträge nicht nur in ihrer jeweils geltenden Fassung, sondern auch in ihrem jeweiligen Geltungszustand in Bezug genommen werden sollten. Dabei ist das Gericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Nachwirkung des Einzelhandelstarifvertrages faktisch auch zu einer Nachwirkung des Anerkennungstarifvertrages führt, obwohl dieser noch ungekündigt war. 

Der Ausgang ist noch offen

Diese Schlussfolgerung ist jedoch weder zwingend noch einleuchtend. Tarifvertragspartei ist hier allein das Unternehmen, das den Anerkennungs-Tarifvertrag mit der Gewerkschaft abgeschlossen hat. Deshalb wirkt dieser Tarifvertrag nach der gesetzlichen Regelung unmittelbar für Arbeitnehmer*innen, die vor der Kündigung dieses Tarifvertrages bereits Gewerkschaftsmitglied waren.

Dass dann ein in Bezug genommener Tarifvertrag nicht auch nachwirkend für dieses Arbeitsverhältnis gelten sollte, ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des Tarifvertragsgesetzes nicht.
 

Auch die Rechtsprechung zur „Gleichstellungsabrede“ (die Gleichbehandlung mit direkt an den Einzelhandels-Tarifvertrag gebundenen Arbeitnehmer*innen) ist hier nicht übertragbar. Diese Überlegungen hatte das Bundesarbeitsgericht allein für arbeitsvertragliche und gerade nicht für tarifvertragliche Formulierungen entwickelt.

Das Verfahren ist aus diesem Grund auch in 3. Instanz vor dem BAG anhängig (4 AZR 630/15).

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