Arbeitnehmer können eine Pauschale in Höhe von 40 € verlangen, wenn ihr Arbeitgeber den Lohn nicht rechtzeitig oder vollständig zahlt.
Arbeitnehmer können eine Pauschale in Höhe von 40 € verlangen, wenn ihr Arbeitgeber den Lohn nicht rechtzeitig oder vollständig zahlt.

Die Landesarbeitsgerichte Baden-Württemberg und Köln haben entschieden, dass ein Arbeitgeber, der den Lohn verspätet oder unvollständig auszahlt, dem Arbeitnehmer einen pauschalen Schadensersatz in Höhe von 40 € zu zahlen hat.
 

Strafzahlung folgt aus EU-Richtlinie

 
Hintergrund der Entscheidung ist eine Vorschrift, nach der der Gläubiger einer Entgeltforderung bei Verzug des Schuldners einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro hat.
 
Diese Vorschrift war in Umsetzung der europäischen Zahlungsverzugsrichtlinie in das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) eingefügt worden. Mit dieser Strafvorschrift sollte eine „Kultur der unverzüglichen Zahlung“ geschaffen werden.
 
Diese Vorschrift galt zunächst nur für Verträge, die seit dem 29. Juli 2014 geschlossen wurden, seit Juli 2016 gilt sie auch für früher geschlossene Verträge. Arbeitgeberanwälte bestreiten, dass die Pauschale auch im Arbeitsrecht anwendbar ist.
 

Sonderregel für Kostentragung im Arbeitsrecht?

 
Schon bevor die Regel für alle Verträge anwendbar war, versuchten Arbeitgeberanwälte zu begründen, warum die 40 € Pauschale nicht für Arbeitsverhältnisse gelte. Erkennbares Ziel war, ihre Mandanten vor einer möglichen Klageflut zu bewahren.
 
Die Pauschale sei systemfremd, weil es im Arbeitsrecht geregelt ist, dass in Verfahren vor dem Arbeitsgericht jeder seine Kosten selbst trägt.
 
Wenn also schon bei Gericht die Kosten für die Rechtsverfolgung nicht ersetzt würden, so müsse dies erst Recht für die Kosten einer außergerichtlichen Rechtsverfolgung gelten. Folgerichtig bestünde im Arbeitsrecht eine Ausnahmevorschrift, welche die 40 € Pauschale verdränge.
 

Landesarbeitsgerichte erklären Pauschale für anwendbar

 
Nachdem einzelne Arbeitsgerichte dieser Auslegung gefolgt waren, haben nun kurz hintereinander zwei Landesarbeitsgerichte diese Ansicht verworfen.
 
Zunächst hat das LAG Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 13. Oktober 2016 die Pauschale grundsätzlich für anwendbar erklärt. Die Klägerin bekam die Pauschale aber nicht, weil sich die Arbeitgeberin nicht in Verzug befunden hatte.
 
Am 22. November hat dann das LAG Köln erstmals einem Kläger die Verzugspauschale zugesprochen und damit das Urteil des Arbeitsgerichts beseitigt. Dieses hatte die Anwendung der Pauschale noch abgelehnt.
 

Keine Bereichsausnahme im Arbeitsrecht

 
Die Gerichte kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, dass die Kostentragungsregel im Arbeitsgerichtsverfahren keine Sondervorschrift gegenüber der Verzugspauschale darstellt. Wenn überhaupt ein Ausnahmeverhältnis besteht, so das LAG Baden-Württemberg, dann allenfalls umgekehrt.
 
Das LAG Köln begründet seine Entscheidung zudem mit dem Zweck der Vorschrift: Sie soll die Möglichkeiten der Gläubiger erweitern und den Druck auf die Schuldner erhöhen, damit diese ihren Zahlungsverpflichtungen zukünftig pünktlich und vollständig nachkommen.
 
Beide Gerichte haben die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, so dass in absehbarer Zeit mit einer höchstrichterlichen Entscheidung zu rechnen ist. Mit dem juristischen Doppelschlag haben die Landesarbeitsgerichte der Diskussion aber schon jetzt eine Richtung gegeben.

Pressemitteilung des LAG Köln

Urteil des LAG Baden-Württemberg

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Das sagen wir dazu:

Der vorliegende Fall zeigt beispielhaft, wie das arbeitsrechtliche Schreibkartell auf Arbeitgeberseite funktioniert. Bereits mit Umsetzung der Richtlinie im Jahre 2014 war absehbar, dass auf die Arbeitgeber eine erhebliche finanzielle Belastung zukommen könnte, wenn sie bei jedem Zahlungsverzug pauschal 40 € zahlen müssen.
 
Zu ihrem Glück gab es eine großzügige Übergangsfrist bis zum Sommer dieses Jahres. Diese hat die Arbeitgeberseite genutzt, um eine juristische Gegenstrategie zu entwickeln. Diese läuft immer gleich ab:
 

  1. Der juristische Hebel: Man sucht eine Vorschrift, hier die Kostentragungspflicht im Arbeitsgerichtsprozess. Diese Norm stellt einen Sonderfall gegenüber der allgemeinen Kostentragungspflicht im Zivilprozess dar, nach dem jeder seine Kosten selbst trägt. Aus dieser Sondervorschrift wird nun ein allgemein gültiges juristisches Prinzip destilliert.

  2. Verschleierung: Dabei wird verschwiegen, dass die Richtlinie ein eigenes juristisches Prinzip enthält, nämlich dass säumigen Schuldnern schneller zahlen sollen. Dieses Prinzip gilt natürlich auch im Arbeitsrecht, vielleicht sogar noch mehr als in anderen Bereichen, weil der Arbeitnehmer existenziell auf die Lohnzahlung angewiesen ist.
  3. Verbreitung: Diese Ansicht wird in den einschlägigen Fachzeitschriften verbreitet. Viele Arbeitsrechtskanzleien publizieren eifrig und erwecken so den Eindruck, als ob sich das Argument inhaltlich durchgesetzt hätte. Man versucht, Akzeptanz zu schaffen.

  4. Wortprägung: Neben der juristischen Argumentation wird versucht, die missliebige Regelung auch begrifflich zu diskreditieren. So wurde die Verzugspauschale als „40-Euro-Klage“ bezeichnet. Und wer klagt schon wegen 40€?

  5. Freundliche Hilfestellung für Gerichte: Wenn dann die ersten Verfahren zu den Gerichten kommen, müssen die Richter*innen die neue Vorschrift anwenden. Aber woran soll man sich da orientieren? Eine obergerichtliche Rechtsprechung gibt es ja noch nicht. Also wirft man einen Blick in die einschlägigen Fachzeitschriften und wird dort prompt fündig: Das Schreibkartell hat die Rechtsprechung vorgeprägt.

 
Auch wenn dieser Erfolg nicht immer von Dauer ist und obere Gerichte, wie in diesem Fall, die Sache grade rücken, haben die Arbeitgeber zumindest Zeit gewonnen und konnten Verzugskosten drücken. Sie profitieren von einer anfänglichen Unsicherheit.
 
Deshalb sollten Arbeitnehmer*innen spätestens jetzt nicht mehr warten, sondern die Verzugspauschale gemeinsam mit ausstehendem Lohn geltend machen. Es gibt keinen Grund für Nachsicht mit unpünktlicher Zahlung.

Rechtliche Grundlagen

§ 288 V BGB, § 12a I ArbGG

§ 288 BGB
Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden
[...]

(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.


§ 12a ArbGG

Kostentragungspflicht

(1) In Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs besteht kein Anspruch der obsiegenden Partei auf Entschädigung wegen Zeitversäumnis und auf Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozeßbevollmächtigten oder Beistandes.