10. März 2021: Equal Pay Day
Die erste große Koalition, ein Regierungsbündnis zwischen CDU/CSU und SPD, regierte Deutschland von 1966 bis 1969. Außenminister war in dieser Zeit Willy Brandt. Und der machte 1969 etwas sehr Ungeheuerliches: er ernannte mit Ellinor von Puttkamer eine Frau zur Botschafterin beim Europarat.
Damals war das fast ein Skandal. Niemals zuvor war eine Frau Leiterin einer (west-)deutschen diplomatischen Vertretung gewesen. Die DDR war insoweit weiter: bereits 1950 wurde hier Aenne Kundermann zur Botschafterin in Bulgarien ernannt.
Elisabeth Selbert hatte im parlamentarischen Rat energisch dafür gekämpft, dass Frauen einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gleichberechtigung haben
Diplomatie war zumindest in der Bundesrepublik Männersache. Man hatte den Frauen schon seit Januar 1919 gestattet, das Parlament mit zu wählen. Sogar gewählt werden konnten sie. Aber viele Frauen wollten immer mehr, statt sich ihrer „von Gott gegebenen Rolle“ zu widmen.
Im Parlamentarischen Rat 1949 hatte die sozialdemokratische Abgeordnete Elisabeth Selbert zusammen mit einigen anderen Frauen aus unterschiedlichen Parteien durchgesetzt, dass in Artikel 3 des Grundgesetzes der Satz eingefügt wird: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Gegen diesen schlichten Satz hatte sich die Mehrheit des Parlamentarischen Rats lange gewehrt, auch die Mehrheit der sozialdemokratischen Abgeordneten. Stattdessen sollte es in der Verfassung heißen: „Männer und Frauen haben grundsätzlich die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.“
Jurist*innen wissen, dass „grundsätzlich“ in der Praxis eher eine Ausnahme bedeutet. Jedenfalls lässt eine solche Formulierung viel Raum für Interpretation und Gestaltung. Glücklicherweise ist dann doch die von Elisabeth Selbert vorgeschlagene Formulierung übernommen worden.
In den ersten neun Jahren der Bundesrepublik ignorierte der Bundestag das Recht der Frauen auf Gleichberechtigung
Es dauerte dann noch bis 1958 bis ein Gesetz das Grundrecht teilweise berücksichtigte. Das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau änderte einige der größten Benachteiligungen von Frauen. Ehemänner konnten bis dahin sogar die Arbeitsverträge ihrer Frauen kündigen und bestimmten allein über Gegenwart und Zukunft von Frau und Kinder. Das änderte sich fortan. Viel mehr aber auch nicht.
Bis 1969 (sic!) waren verheiratete Frauen noch nicht voll geschäftsfähig. Bis 1962 durften sie ohne Erlaubnis des Mannes nicht einmal ein Konto eröffnen. Die volle Gleichberechtigung war erst 1977 durch das Ehereformgesetz erreicht. Bis dahin durften verheiratete Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemannes etwa nicht arbeiten. Es galt das gesetzliche Leitbild der „Hausfrauenehe“. Der Mann war der Haushaltsvorstand und vertrat die Familie in allen Belangen. Die Ehefrau war vorrangig für den Haushalt und die Versorgung der Kinder zuständig. Auch mit Zustimmung des Ehemannes durfte eine Ehefrau nur dann arbeiten, wenn sie dadurch ihre Pflichten als Hausfrau nicht verletzte.
Es gehörte sich nicht, dass verheiratete Frauen berufstätig waren
Auch wenn Ende der sechziger Jahre viele Frauen bereits gutbezahlte Positionen hatten, Frau von Puttkamer war etwa Hochschullehrerin, gehörte es sich für die überwiegende Zahl der Menschen in unserem Land nicht, dass verheiratete Frauen berufstätig waren. Es gehörte sich eigentlich auch nicht, wenn sie unverheiratet waren. Das war in den Augen der Mehrheit ein. Indiz dafür, dass sie keinen Erfolg hatten. Frauen waren nicht dazu da, Geld zu verdienen. Verheiratete Frauen verdienten höchstens „dazu“, wenn ihr Mann nicht dazu in der Lage war, seine Familie ordentlich allein zu versorgen.
Etwas ganz Verwerfliches waren die „Doppelverdiener“. Verheiratete Frauen „nahmen Männern die Arbeitsplätze weg“, obwohl sie doch einen Mann hatten, der sie versorgen musste, so hieß es. „Doppelverdiener“ hatten in der Gesellschaft damals ungefähr den Ruf wie heute die Raucher. Dahinter steckt natürlich ein damals schon völlig überholtes Frauenbild. Eine Frau war Hausfrau und Mutter und wirtschaftlich von einem Mann abhängig.
Eine Spitzenposition in einem Konzern war für eine Frau ebenso undenkbar wie die Position einer Botschafterin. Daher war die Ernennung von Ellinor von Puttkamer damals beinahe so sensationell, als würden die katholischen Kardinäle heute Madonna zur Päpstin wählen.
Für den Haushalt sind seit 1977 beide Eheleute gleich zuständig
Seitdem das Ehereformgesetz 1977 in Kraft ist, hat sich natürlich nicht alles von heute auf morgen verändert. Es dauerte schon noch eine Zeit, bis bei vielen Männern ankam, dass ihre Frauen erwachsene Menschen sind, die in keinerlei Beziehung weniger Rechte haben als ihre Ehemänner. Insbesondere konnten sie ohne deren Zustimmung arbeiten. Für den Haushalt waren fortan beide Eheleute gleich zuständig. Wenn der „vernachlässigt“ wurde, war das bis dahin schuld der Frau. Ab damals müssen sich nunmehr beide mit gleicher Verantwortung um Kinder und Küche kümmern.
Es war aber beileibe nicht so, dass Frauen und Männer nunmehr gleiche Einkünfte hatten. Zwar hatte das Bundesarbeitsgericht schon im Januar 1955 geurteilt, dass Artikel 3 GG nicht nur die staatliche Gewalt, sondern auch die Tarifvertragsparteien bindet. Eine Tarifklausel, die generell und schematisch weiblichen Arbeitskräften bei gleicher Arbeit nur einen bestimmten Hundertsatz der tariflichen Löhne als Mindestlohn zubillige, verstoße gegen den Lohngleichheitsgrundsatz und sei nichtig.
Seinerzeit gab es nämlich Tarifverträge, die für Frauen geringere Löhne vorsahen als für Männer. Das sollte angeblich gerechtfertigt sein wegen der zu ihren Gunsten erlassenen Schutznormen. Dem hatte das BAG jetzt einen Riegel vorgeschoben. Mit der ungleichen Bezahlung war es aber noch nicht vorbei. Es entstanden jetzt sogenannte „Leichtlohngruppen“. Tätigkeiten, die insbesondere Frauen verrichteten, wurden erheblich geringer vergütet als Tätigkeiten, die typischerweise Männer tätigten.
Die sogenannten „Leichtlohngruppen“ stellten eine mittelbare Diskriminierung von Frauen dar
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Es lag jedoch mehr als nur ein Verdacht nahe, dass die Leichtlohngruppen Frauen mittelbar diskriminieren. Seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zielten mehrere Richtlinien der Europäischen Union u.a. auf die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, etwa die Entgeltgleichheitsrichtlinie und die Gleichbehandlungsrichtlinie, in Deutschland umgesetzt durch das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Der Diskriminierung sollen auch aktuellere Gesetze entgegenwirken wie das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen von Mai 2015 oder das Entgelttransparenzgesetz vom Juni 2017.
Noch 1997 betrug das durchschnittliche Einkommen einer Frau trotz aller Maßnahmen in Deutschland lediglich knapp 76 Prozent des durchschnittlichen Einkommens eines Mannes. Immerhin sind es 2019 bereits 81 Prozent. Der „Gender-Pay-Gap“ ist indessen immer noch um 19 Prozent zu groß.
Die Lücke liegt zum Teil daran, dass der Anteil der Männer in gut dotierten Jobs höher ist. Ein Teil des Unterschieds ist also strukturbedingt und darauf zurückzuführen, dass Frauen in schlechten bezahlten Branchen und Berufen arbeiten und seltener Führungspositionen erreichen. Auch arbeiten sie häufiger als Männer in Teilzeit und in Minijobs. Selbst bei gleicher formaler Qualifikation und ansonsten gleichen Tätigkeitsmerkmalen beträgt der Entgeltunterschied aber immer noch sechs Prozent.
Der diplomatische Dienst wird weiblicher
Ein Nachfolger des Außenministers der ersten großen Koalition, Heiko Maas, sagte anlässlich einer Rede vor der Initiative Frauen in die Aufsichtsräte (FidAR) im Februar 2021, dass gleichberechtigte Gesellschaften sicherer, stabiler und friedlicher seien. Dabei ginge es nicht um Ideologie oder „Gender-Wahn“. Es ginge um gesellschaftliche und ökonomische Vernunft, um Teilhabe, um Gerechtigkeit. Im Kern ginge es um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollten und in welcher Welt wir würden zusammenleben wollen.
Und der Minister wies darauf hin, dass die Corona-Pandemie das Rad der Geschichte wieder ein Stück zurückgedreht hat: „Der Frauenanteil in den Vorständen der 30 DAX-Konzerne ist in der Krise wieder auf das Niveau von 2017 zurückgefallen. Für viele Frauen bedeutet „Home Office“ zurzeit mehr „Home“ als „Office“. Im Klartext: viele Frauen erledigen zu Hause zwei Vollzeitjobs - Arbeit plus Kinderbetreuung und -beschulung. Und auch in gewöhnlichen Zeiten tragen Frauen nach wie vor die Hauptlast der Familien- und Sorgearbeit“, so der Minister.
Fortschritten standen immer wieder auch Rückschritte gegenüber
Auch mehr als 70 Jahre nach dem erfolgreichen Kampf von Elisabeth Selbert um einen verfassungsrechtlichen Anspruch von Frauen auf Gleichberechtigung ist diese in der Praxis immer noch nicht vollständig umgesetzt. Mehr noch: Krisen gehen häufig zu Lasten von Frauen. Vielen Fortschritten standen immer wieder auch Rückschritte gegenüber. Hinzu kommt, dass mit der AfD eine Partei im Bundestag vertreten ist, die gerne wieder in die Zeit der Hausfrauenehe zurückkehren würde.
Immerhin ist der Anteil der Abteilungsleiterinnen und ihren Stellvertreterinnen im Auswärtigen Amt innerhalb der letzten drei Jahre von 27% auf 43% gestiegen. Jede vierte deutsche Auslandvertretung wird derzeit von einer Frau geleitet. Das ist ein deutlicher Fortschritt zu 1969. Aber es immer noch weit entfernt von Parität. Der Frauenanteil bei den Neueinstellungen im diplomatischen Dienst betrug 1980 lediglich knapp 6 %., 2019/2020 schließlich 55%.
War er bis dato also deutlich männlich geprägt, wird der diplomatische Dienst doch zunehmend weiblicher. Es gibt im Auswärtigen Amt die Tradition, Säle nach deutschen Staatsmännern zu benennen. So gibt es etwa einen Willy-Brandt-Saal oder einen Konrad-Adenauer-Saal. Bis zum Herbst 2020 trugen die Säle ausschließlich Namen von Männern, die sich in der Außenpolitik verdient gemacht hatten.
Seit Oktober 2020 gibt es jetzt einen Ellinor-von-Puttkamer-Saal.
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