Insolvenzereignis ist ein Begriff aus dem Arbeitsförderungsrecht (§ 165 SGB III). Der Zeitpunkt ist wichtig für Ihren Anspruch auf Insolvenzgeld. Es gibt drei mögliche Insolvenzereignisse:
Mit dem Beschluss, das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Unternehmers zu eröffnen, bestimmt das Gericht einen Insolvenzverwalter. Das ist in der Regel ein Jurist, der sich auf Insolvenzverfahren spezialisiert hat. Es kann derselbe sein, den das Gericht bereits als vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt hat, muss es aber nicht. Das Recht des Unternehmens, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, geht sofort auf den Insolvenzverwalter über. Das Vermögen des Unternehmens ist also beschlagnahmt. Das betrifft aber nur das Vermögen, das zur Insolvenzmasse gehört.
Beispiel:
Wenn über das Vermögen einer GmbH die Insolvenz eröffnet wird, gehört nur das Vermögen der GmbH, aber nicht die jeweiligen Privatvermögen der Gesellschafter oder das des Geschäftsführers zur Insolvenzmasse.
Auch die Gläubiger dürfen nicht mehr auf das Vermögen des Schuldners zugreifen oder die Zwangsvollstreckung betreiben.
Das Verfahren soll einen Wettlauf der Gläubiger verhindern. Ein Ziel der Insolvenzordnung ist, die Gläubiger gleich zu behandeln. Forderungen, die vor der Eröffnung aufgelaufen sind, werden nach einem gesetzlichen Verfahren verteilt. Die Gläubiger müssen ihre Forderungen beim Insolvenzverwalter (oder beim Sachwalter im Falle der Eigenverwaltung) zur Insolvenztabelle melden.
Wird das Insolvenzverfahren eröffnet, sind alle Ansprüche, die vor der Eröffnung entstanden sind, Insolvenzforderungen. Entstehen nach der Eröffnung Forderungen, heißen sie Masseforderungen. Diese Unterscheidung ist sehr wichtig: Insolvenzforderungen werden nicht direkt beglichen, sondern man muss sie beim Insolvenzverwalter zu einer Tabelle anmelden, in die sie aufgenommen werden. Wenn nach Abschluss des Insolvenzverfahrens noch Vermögen übrig ist, wird es nach einer Quote auf die Insolvenzgläubiger verteilt. Viel bleibt in der Regel nicht mehr übrig.
Die Masseschulden muss der Insolvenzverwalter (bzw. das Unternehmen bei Eigenverwaltung) weiter in voller Höhe zahlen. Das betrifft auch Arbeitsentgelt, das gezahlt werden muss für die Zeit nach der Insolvenzeröffnung.
Wenn das Vermögen des Unternehmens (die „Insolvenzmasse“) nicht mehr ausreichen wird, alle Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, wird der Insolvenzverwalter „Masseunzulänglichkeit“ anzeigen. Das ist eine Situation, die auch als „Insolvenz in der Insolvenz“ bezeichnet wird. Dann werden die Masseforderungen, die vor der Anzeige entstanden sind, zu „Altmasseverbindlichkeiten“, die nach einer vom Gesetz festgelegten Rangfolge zu begleichen sind. Leider sind die Arbeitsentgelte insoweit zweitrangig. Wichtig ist auch, dass wegen „Altmasseverbindlichkeiten“ nicht einmal mehr die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann.
Für die drei Monate des Arbeitsverhältnisses, die dem Insolvenzereignis vorausgehen, haben Sie Anspruch auf Insolvenzgeld in der Höhe des Nettoarbeitsentgeltes von der Agentur für Arbeit, wenn und insoweit Sie vom Arbeitgeber in diesem Zeitraum kein Arbeitsentgelt bekommen haben.
Beispiele:
- Ihr Arbeitsverhältnis besteht noch. Am 1.Mai 2020 eröffnet das Gericht das Insolvenzverfahren. Sie haben Anspruch auf Insolvenzgeld für Februar, März und April 2020.
- Ihr Arbeitsverhältnis wurde zum 31. Januar 2020 beendet. Am 1.Mai 2020 eröffnet das Gericht das Insolvenzverfahren. Sie haben Anspruch Auf Insolvenzgeld für November und Dezember 2019 und Januar 2020.
11. Wann sollte ich einen Antrag auf Insolvenzgeld stellen?
Den Antrag sollten Sie am besten sofort stellen, wenn der Arbeitgeber Insolvenz beantragt hat. Spätestens muss der Antrag binnen einer Frist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis bei der Agentur für Arbeit gestellt werden. Da der Zeitraum, für den das Insolvenzgeld gezahlt wird, erst bestimmt werden kann, wenn das Amtsgericht den Beschluss verkündet hat, kann die Agentur für Arbeit es auch erst nach dem Beschluss bewilligen.
12. Kann die Agentur für Arbeit einen Vorschuss auf das Insolvenzgeld zahlen?
Die Agentur für Arbeit kann einen Vorschuss leider nur für diejenigen zahlen, deren Arbeitsverhältnis beendet ist, wenn im Übrigen die Voraussetzungen für den Anspruch auf Insolvenzgeld mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfüllt werden.
13. Was ist eine Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes?
Wenn in Betracht kommt, dass das insolvente Unternehmen nach dem Insolvenzverfahren fortgeführt wird, gibt es für die Beschäftigten, die noch in einem Arbeitsverhältnis stehen, die Möglichkeit, dass das Insolvenzgeld vorfinanziert wird.
In diesem Fall kauft eine Bank den Beschäftigten den Anspruch auf Insolvenzgeld ab. Im Gegenzug treten die Beschäftigten ihre Forderung gegen die Bundesagentur für Arbeit ab. Die Banken zahlen den betroffenen Beschäftigten also das Insolvenzgeld aus und holen es sich später von der Agentur für Arbeit wieder.
Angeschoben wird ein solches Verfahren vom Insolvenzverwalter - oder im Fall von Eigenverwaltung oder Schutzschirm - vom Arbeitgeber. Die Bundesagentur für Arbeit muss der Vorfinanzierung allerdings zustimmen, damit es nicht zu Missbrauch kommt.
14. Was passiert mit meinen „alten“ Überstunden, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet ist?
Hier gibt es keine gute Nachricht. Überstunden, die vor der Insolvenzeröffnung geleistet worden sind, sind nicht mehr zu retten. Wer Überstunden leistet, gibt seinem Arbeiter nämlich quasi einen Kredit, den man zurückfordern kann. Insoweit hat man also Ansprüche, die vor der Eröffnung der Insolvenz entstanden sind. Das hat zur Folge, dass der Anspruch auf Abgeltung dieser Überstunden Insolvenzforderung ist. Man hat also nur die Möglichkeit, den Anspruch zur Insolvenztabelle zu melden.
Ausnahme sind nur die Überstunden, die man in den letzten drei Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geleistet hat. Für diese Stunden gibt es Insolvenzgeld.
15. Was ist, wenn ich noch Anspruch auf Urlaub habe?
Wer weiter arbeitet, erwirbt auch weiter -anteilig- einen Anspruch auf Erholungsurlaub. Er kann den Urlaub beim Insolvenzverwalter beantragen.
Auch der Urlaub aus der Zeit vor Eröffnung der Insolvenz verfällt wegen der Insolvenz nicht unbedingt. Ein Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs entsteht erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Deshalb ist dieser Anspruch dann eine Masseforderung, wenn das Arbeitsverhältnis bis nach der Eröffnung andauert. Es kommt insoweit nicht darauf an, wann der Arbeitgeber gekündigt hat, sondern wann die Kündigungsfrist endet.
16. Gilt das Arbeitsrecht auch in der Insolvenz?
Grundsätzlich gelten die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis auch in der Insolvenz. Sie beendet das Arbeitsverhältnis nicht automatisch. Auch das Kündigungsschutzgesetz, das die Arbeitnehmer*innen vor ungerechtfertigten Kündigungen schützt, findet weiter Anwendung.
Allerdings bestimmt die Insolvenzordnung, dass die Kündigungsfrist bei Arbeitsverhältnissen längstens drei Monate beträgt, auch wenn sie nach einem Tarifvertrag normalerweise deutlich länger wäre.
17. Darf der Insolvenzverwalter wegen der Insolvenz das Arbeitsverhältnis kündigen?
Ein klares Nein! Die Insolvenz selbst ist kein Kündigungsgrund. Wer eine Kündigung bekommt, sollte binnen drei Wochen, nachdem er die Kündigung erhalten hat, Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht erheben. Wenn die Insolvenz bereits eröffnet ist, muss man den Insolvenzverwalter verklagen und nicht den Arbeitgeber!
Es gelten dabei dieselben Regeln wie bei Kündigungen von Arbeitgebern, die nicht insolvent sind. Der Insolvenzverwalter muss im Kündigungsschutzverfahren die Kündigung begründen und die Kündigungsgründe im Zweifel beweisen. Allein die Tatsache, dass es ein Insolvenzverfahren gibt, reicht als Kündigungsgrund nicht aus.
Wirklichen Kündigungsschutz hat man aber nur, wenn der Betrieb, indem man arbeitet, mehr als zehn Beschäftigte hat und das Arbeitsverhältnis bereits länger als sechs Monate besteht. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, wird man vor dem Arbeitsgericht nur ganz geringe Chancen haben. Das Gericht prüft dann nur, ob die Kündigung aus reiner Willkür erfolgt ist. Arbeitgeber mit Kleinbetrieben brauchen nämlich nach dem Gesetz keinen Kündigungsgrund.
18. Was ist mit meiner betrieblichen Altersversorgung, wenn mein Arbeitgeber insolvent ist?
Wer bereits eine Betriebsrente von seinem Arbeitgeber bezieht, hat insoweit wenig Grund zur Sorge. Die betriebliche Altersversorgung geschieht in der Regel über eine Direktzusage, eine Unterstützungskasse oder einen Pensionsfonds. Diese Rente ist abgesichert über den Pensionssicherungsverein (PSV). Er übernimmt im Fall der Insolvenz die monatliche Rentenzahlung.
Über den PSV sind auch die unverfallbare Versorgungsanwartschaften nach Maßgabe des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG) abgesichert.
Etwas anders sieht es aus, wenn die betriebliche Altersversorgung über eine Pensionskasse oder eine Direktversicherung erfolgt. Insoweit zahlt der Arbeitgeber ja nicht die Rente, sondern die Versicherung oder die Pensionskasse. Der Arbeitgeber hat nur zugesagt, Beiträge zu diesen Versicherungen zu leisten. Diese Zusage ist allerdings nicht insolvenzgesichert.
Was allerdings über den PSV abgesichert ist, ist die sogenannte Einstandspflicht des Arbeitgebers. Wenn eine Pensionskasse aufgrund der Entwicklung am Finanzmarkt nicht mehr dazu in der Lage ist, die zugesagte Versorgung zu leisten, muss der Arbeitgeber für den Rest aufkommen. Wird der Arbeitgeber insolvent, muss der PSV einspringen.