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Zeit für ein Upgrade: Mitbestimmung in der digitalen Verwaltung

Beim diesjährigen Schöneberger Forum diskutierten Fachleute über die Mitbestimmung in der digitalen Verwaltung. Die Veranstaltung stand unter der Überschrift „Demokratie in der Dienststelle“.

Beim diesjährigen Schöneberger Forum diskutierten Fachleute über die Mitbestimmung in der digitalen Verwaltung. Die Veranstaltung stand unter der Überschrift „Demokratie in der Dienststelle“.

Zum Thema „Mitbestimmung in der digitalen Verwaltung“ referierten und diskutierten Dr. Melanie Frerichs von der Hans-Böckler Stiftung, Referat Mitbestimmung und Gute Arbeit, der Professor für Public Management an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit und wissenschaftlicher Direktor am Institute for eGovernment Dr. Tino Schuppan sowie Klaus Heß von der Technologieberatungsstelle beim DGB NRW.

Melanie Frerichs: „Oberziel ist gute digitale Arbeit“

beschreibt die Veränderungen, die sich für die Führungskräfte einerseits und die Interessenvertretung andererseits durch die fortschreitende Digitalisierung von Arbeitsplätzen im Zusammenhang mit Individualisierung, demografischem Wandel und Globalisierung ergeben. Die Digitalisierung wird hierbei unter dem Begriff E-Government zusammengefasst, nämlich der E-Akte, Internet, Social Media, Vorgangsbearbeitungssysteme und Mobile Arbeit.


Auf dieser veränderte Arbeitswelt stoßen Führungskräfte von unterschiedlichen Typus, nämlich Passiv-Betroffene, die Veränderungen an ihre Beschäftigten einfach durchreichen, sogenannte Impulsgeber, die selbst von digitalen Veränderungen als Verbesserung überzeugt sind und dies an ihre Beschäftigten zu vermitteln suchen und Umsetzer, die diese Veränderungen ihren Beschäftigten gegenüber schlicht anweisen.

Die Führungsstruktur ist dabei von unterschiedlichen Herangehensweisen geprägt, nämlich traditionell, profitorientiert, kooperativ, netzwerkdynamisch oder werteorientiert.

Entscheidend wirkt sich digitale Arbeit auf Hierarchien aus. Diese werden durch die Art der digitalen Kommunikation abgebaut und durch Knotenpunkte ersetzt.

Für den Personalrat ergeben sich hiermit eine Fülle von Handlungsfelder, nämlich im Datenschutz, im Arbeits- und Gesundheitsschutz, bei der Beschäftigungssicherung aufgrund von Rationalisierungseffekten und bei der Bildung und Qualifizierung zum Umgang mit den digitalen Anforderungen, konkret mit der Software, wobei dem „Zeitschutz“ eine besondere Bedeutung zukommt.

Auch der Personalrat selbst muss ein Auge auf digitale Veränderungen im Zuge der Durchsetzung seiner Beteiligungsrechte haben. Das Oberziel ist „gute digitale Arbeit“.

Tino Schuppan: „Anforderungen an die soziale Kompetenz steigen“

beschreibt zunächst die digitale Entwicklung. Ab Ende der 90er Jahre erkennt er eine Probierphase, die durch die Zählphase mit „Bund Online 2001“ abgelöst wurde. Darauf folgte die Kooperationsphase „Deutschland Online 2005“ mit einer Tendenz zu Standardisierungsmaßnahmen, die durch die Ernüchterungsphase „Deutschland Online Aktionsplan ab 2007 IT-PLR“ abgelöst wurde. Hieran schließt sich die „kleine“ Strategiephase“ IT-PLR/NEGS ab 2009 an, mit der eine gesamtstaatliche Steuerung und eine fördernde Infrastruktur in Angriff genommen wurde. Darauf folgte die „große“ Strategiemaßnahme mit einer gesellschaftlichen Steuerung.

Danach entwickelt Tino Schuppan technozentrierte Szenarien, in der Entscheidungsprozesse durch die Auswertung von Daten ersetzt werden. Als Beispiel führt er die Bundesagentur für Arbeit an, in der die Vermittelbarkeit von Arbeitslosen am Lebensalter, Geschlecht, Nationalität, Länge der Arbeitslosigkeit, (nahtloser) beruflicher Werdegang, Qualifizierung und ähnlichen Parametern allein per Datenauswertung erfolgt. Der Sachbearbeiter gibt nur noch Daten ein vor dem Hintergrund einer dreijährigen Ausbildung im gehobenen Dienst für eine Tätigkeit, die mit einer dreitätigen Einarbeitungszeit erledigt werden könnte.

Ein weiteres Szenario ist das Callcenter, in dem der Chef seinen Mitarbeitern nachgeht, wenn ein Telefonat länger als 30 Sekunden dauert, Anzahl und Dauer der Telefonate also ständig überwacht werden.

Ein Horrorszenario wäre die Ausstattung aller Mitarbeiter mit Sensoren, die den Hautwiderstand und die Pupillengröße messen, so dass ständig messbar ist, wie sich der einzelne Mitarbeiter zu welcher Zeit bei welcher Arbeit gerade fühlt, ob er entspannt, konzentriert oder gestresst ist. Dies könnte Mitarbeitergespräche überflüssig machen.

Danach wendet sich Tino Schuppan den Anforderungen an die Beteiligung des Personalrates im Hinblick auf Veränderungen durch digitale Arbeit zu.

Zunächst sind die Veränderungen akzeptanzbezogen, müssen also von der Mitarbeitern akzeptiert werden, wenn sie sinnvoll eingeführt werden sollen.
Die Veränderungen sind auch wertbezogen, womit eine technik-immanente Wertebezogenheit gemeint ist. Als Beispiel führt er den Henkel an der Tasse an, der das Anheben der Tasse am Henkel nahelegt, obwohl man die Tasse beispielsweise auch in die Hand oder in beide Hände nehmen kann. Diese „Inskription in Technik“ spielt auch bei digitaler Arbeit eine Rolle. Der Personalrat müsse eine erweiterte Kontroll- und Auswertungsfunktion übernehmen, dies auch aus qualifikationsbezogenen Gründen. Insbesondere bei der Neubewertung von Stellen und der Schaffung neuer Arbeitsplätze durch digitale Arbeit kommt dem Personalrat eine besondere Bedeutung zu.

Auch müsse der Personalrat im Blick haben, dass sich durch die Digitalisierung auch seine interne Zusammenarbeit verändere.

Zusammenfassend stellt Tino Schuppan dar, dass mit der Steigerung der Digitalisierung die Anforderungen an sozialer Kompetenz gleichermaßen steigen.

Verstärkte Digitalisierung bedeutet für den einzelnen Mitarbeiter ein höheres Maß an selbstbestimmter Arbeit, selbstorganisiertem Lernen (z.B. im Umgang mit der Software), Entscheidungen müssen schneller getroffen, Prioritäten schneller gesetzt werden. Demgegenüber kann durch verstärkte Digitalisierung auf der anderen Seite der Routineanteil ansteigen und zwar am selben Arbeitsplatz. Für diese Änderung der Tätigkeiten ist eine sinnvolle, durchdachte Arbeitsorganisation wichtiger als die Durchführung von Software-Schulungen.

Hieraus eröffnen sich für den Personalrat folgende Handlungsfelder:

Der Personalrat sollte bei Umgestaltungen infolge fortschreitender Digitalisierung möglichst frühzeitig beteiligt werden. Nichttechnische Aspekte sollten mitbetrachtet werden. Es bedarf einer hohen Sensibilisierung für massive und erweiterte Kompetenzanforderungen, die noch nicht richtig fassbar sind und vor allem nirgends gelehrt werden.

Tino Schuppan fasst dies zusammen als „wertintensives soziotechnisches Design und Skills als Beteiligungsaufgabe“.

Letztlich entspräche dies den Anforderungen an eine „Humanisierung der Arbeitswelt“, die schon in den 70er Jahren diskutiert wurde. Heute heißt es: „Gute Arbeit“.

Klaus Heß: „ Neue Form der Zusammenarbeit erforderlich“

Er nimmt Bezug auf das Landespersonalvertretungsgesetz NRW, das am 02.07.2011 in Kraft getreten ist und das in §§ 63 – 66 eine halbjährliche Information über wirtschaftliche Belange, ein erweitertes Antragsrecht des Personalrates, eine erweiterte und frühzeitige Unterrichtung durch die Dienststelle und eine Vorverlagerung der Mitbestimmung vorsieht.

Als Beispiel nennt Klaus Heß die Auslagerung von Reinigungsarbeiten, die auch dann mitbestimmungspflichtig ist, wenn das Angebot nur eines Anbieters durch die Dienststelle eingeholt wurde, denn vorher ist bereits die Entscheidung der Dienststelle gefallen, nur ein Angebot einzuholen.Die Crux für jeden Personalrat sei, dass eine Mitbestimmungsvorlage sehr lang sein und sehr spät erfolgen kann, insbesondere nach der Beteiligung anderer Dienst- oder sonstiger Stellen. In diesem Stadium kann der Personalrat oft nicht mehr alle Aspekte prüfen, zeitliche Verzögerungen werden ihm dann vorgeworfen, unter anderem, wenn bei gewünschten Veränderungen andere Stellen erneut zu beteiligen sind usw.Dem soll das geänderte LPersVG NRW entgegenwirken, zum Beispiel durch die (erweiterte) Ermöglichung von Prozessvereinbarungen in Form von Dienstvereinbarungen. In solchen Vereinbarungen kann der Ablauf von Prozessen und deren Entwicklung bis zur Festlegung, geregelt werden.Die Prozessvereinbarung kann bei Änderungen von Abläufen angepasst werden. Problematisch hat sich hierbei die ebenenübergreifende Organisation der Mitbestimmung über verschiedene Ressorts gezeigt. Es bedarf auch auf Personalratsseite eine neue Form der Zusammenarbeit der verschiedenen Gremien auf verschiedenen Ebenen.

Lebhafte Diskussion

Die anwesenden Personalräte sehen den erhöhten Arbeitsbedarf im Hinblick auf eine verstärkte, prozessorientierte Mitbestimmung, insbesondere bei den Anforderungen durch die Veränderungen durch digitale Arbeit. Hier werde Zeit, Wissen und Fortbildung benötigt. Es wird die Frage, ob hier überörtliche Gremien sinnvoll sein könnten, diskutiert. Auch gebe es Widerstände in der mittleren Ebene.

Tino Schuppan beschreibt die mittlere Ebene als „Lähmungsschicht“. Für die Durchsetzung sinnvoller digitaler Arbeit werden politische, fachliche und soziale Promoter benötigt und zwar aus den eigenen Reihen. Berater von außen haben einerseits kein Interesse an einem nachhaltigen Prozess (sondern ihr Interesse ist auf ein Honorar gerichtet, das zeitlich möglichst ausgedehnt ist) und werden andererseits von den Beschäftigten nicht akzeptiert. Hierzu gibt es Erfahrungen aus den 70er Jahren zur „Humanisierung der Arbeitswelt“. Auch das erforderliche Budget zur Einführung digitaler Neuerungen werde erstens regelmäßig unterschätzt und zweitens dann auch noch überschritten. Große Projekte überholen sich angesichts des digitalen Fortschritts zeitweise schon in der Planungsphase. Zu bevorzugen sind schnelle, kleine Projekte. Zum Abschluss stellte Herr Heß heraus, dass es nicht ohne Personalräte gehe. Es sollten möglichst frühzeitig Koalitionen geschlossen werden. Prof. Schuppan sagte zum Abschluss: „Ich kann nur das ändern, was ich verstehe. Dies ist bei der Digitalisierung ein echtes Problem.“ Es gebe gerade mal 5 Professoren im Land, die sich hiermit intensiv beschäftigen. Die Entwicklung von kritischem Gegenwissen gegen kommerzielles Beraterwissen ist wichtig. Dr. Frerichs betonte: Technik kann auch Spaß machen. Das Leitbild sei „Gute Arbeit“ wie in den 70er Jahren die Humanisierung der Arbeitswelt.

Ein Überblick zum Schöneberger Forum 2015 gibt:

Schöneberger Forum – Demokratie in der Dienststelle

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