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10. Hans-Böckler-Forum diskutierte hochaktuelle und zukunftsgerichtete Themen

Am 5. und 6. März fand in Berlin unter Mitwirkung des Hugo Sinzheimer Instituts das 10. Hans-Böckler-Forum zum Arbeits- und Sozialrecht statt. Hochkarätige Dozenten aus Wissenschaft und Rechtsprechung diskutierten mit dem interessierten Fachpublikum über aktuelle rechtspolitische Entwicklungen und die aus dem Koalitionsvertrag im Bereich Arbeit und Soziales resultierenden Aufgabenstellungen der rechtspolitischen Akteure. Der gesetzliche Mindestlohn war ein großes Thema, aber auch der Einfluss Europas und der europäischen Rechtsprechung. 

Michael Guggemos, Sprecher der Geschäftsführung der Hans-Böckler-Stiftung übernahm die Eröffnung und Begrüßung. Er stellte den Einsatz von Andrea Nahles um den Mindestlohn heraus und sicherte ihr die Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung zu.

Wirksame Durchsetzung von Tarif- und Betriebsratsrechten

Jenseits der Themen der Foren erwähnte er den Kampf des DGB Vorsitzenden Reiner Hoffmanns für die Mitbestimmung. Die Flucht aus der Mitbestimmung sei ein Problem, welches auf der nationalen Ebene ein Mitbestimmungsgesetz erfordere, zudem müssten auf der europäischen Ebene Mindeststandards für die Mitbestimmung festgelegt werden. Hier äußerte er hohe Erwartungen an die Bundesregierung.

In dem Zusammenhang nannte es insbesondere  einen Skandal, dass   die Staatsanwaltschaften die Behinderung von Betriebsratsarbeit nicht als Straftat  verfolgen.

Er stellte die Bedeutung der Hans-Böckler-Stiftung als Mitbestimmungswerk des DGB heraus. In dieser Funktion werde  sie auch weiter „naming and shaming“ betreiben. Unternehmen, die sich nicht an die gesetzlichen Vorgaben halten, Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit behindern, Leiharbeit oder Werkverträge missbrauchen oder versuchen, den Mindestlohn zu unterlaufen, sollen also auch künftig öffentlich benannt werden.

Arbeitswirklichkeit mit dem Recht zusammen bringen

Dieses rechtspolitische Ziel stellte Dr. Thomas Klebe, Leiter des Hugo Sinzheimer Instituts, heraus. 

Um klar zu machen, dass der Mindestlohn kein Hexenwerk ist, wies er darauf hin, dass Deutschland das 22. der 28 Mitgliedstaaten der EU ist, welches einen gesetzlichen Mindestlohn eingeführt hat.

Besonders wichtig für ihn: Die Arbeitgeber haben sich an die Gesetze zu halten. Es sei sozialpolitisch wichtig, die gezielten Gesetzesverstoße von Arbeitgebern zu brandmarken. 

Damit bereitete er die Eingangsrede der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Andrea Nahles vor, die dieses Thema in ihrem Vortrag zu aktuellen Fragen des Arbeits- und Sozialrechts weiter vertiefte.

„Was für die einen Bürokratie ist, sind für die anderen faire Entlohnung und Arbeitnehmer-Rechte“

So Bundesministerin Andrea Nahles in Ihrer Rede, in der sie der Ansicht entgegentrat, der Mindestlohn bringe wegen der Dokumentationspflichten zu viel Bürokratie mit sich. 

Wer entscheidet, ob Regeln eingehalten werden? Die Arbeitgeber oder die Gesetze? Diese Frage steckt ihrer Ansicht nach hinter dem Gejammer über die Dokumentationspflicht. Es seien diejenigen, die sich nicht an die Regeln gehalten haben, die jetzt die Dokumentationspflicht als Bürokratiemonster verteufeln. Sie sprach von einer „Schmähetikette“ für das Einhalten von Regeln. Es gehe nicht um die Pflichten beim Mindestlohn, sondern um das grundsätzliche Infrage stellen von Regeln. Die Aufzeichnungspflicht sei nicht verhandelbar, da ansonsten der Mindestlohn unterlaufen werden könne. Abschließend informierte die Ministerin das interessierte Fachpublikum noch darüber, dass ein Gesetz zur Bekämpfung von Missbrauch der Leih- und Werkvertragsarbeit geplant ist. 

Den Abschluss der Eingangsreden bildete Prof. Dr. Skouris, Präsident des Europäischen Gerichtshofes, mit seinem Vortrag zur Europäischen Grundrechtecharta in der Rechtsprechung des EuGH. Die Grundrechtecharta gebe dem Arbeits- und Sozialrecht wichtige Impulse. Er nannte hier den Anspruch auf Erholungsurlaub (Art. 31) sowie das Recht auf Anhörung (Art. 27).

Es folgten 6 parallel laufende Foren zu folgenden Themen:

Arbeitsschutz und Diskriminierungsschutz – menschenwürdige Erwerbsteilhabe
Rechtsprechung und Rechtsentwicklung im Grundsicherungsrecht
Arbeit der Zukunft – Zukunft der Arbeit
Aktueller Stand und Perspektive des Arbeitskampfrechts

Datenschutzrecht
Flexible Entgeltformen.
Auch am Folgetag war der gesetzlichen Mindestlohn Thema. Prof. Dr. Waltermann von der Universität Bonn referierte über aktuelle Fragen des Mindestlohngesetzes. 

„Mindestlohn hemmt die Beschäftigung nicht“

Mit der anderslautenden Ansicht rechnete Prof. Dr. Waltermann zu Beginn seines Vortrags ab. Er wies darauf hin, dass bei dem Stundenlohn von 8,50 € nach 45 Beschäftigungsjahren in einer 40-Stunden-Woche immer noch eine Altersrente unterhalb des Grundsicherungsniveaus erreicht ist. Das Niveau der Grundsicherung im Alter wird erst ab einem Stundenlohn von 9,40 € erreicht.

Soweit das Mindestlohngesetz unter 18-jährige vom Mindestlohn ausnimmt, so hielt er die Ausnahme für europarechtswidrig. Diese Entwicklung bleibe abzuwarten, dies gelte insbesondere  für die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte zu Fragen der Ausschlussfristen und Anrechnung von Leistungen auf den Mindestlohn.

Richterrecht und Gesetzesbindung – mit diesem Thema beschäftigten sich Dr. Levits, Richter am Europäischen Gerichtshof (EuGH) und der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Prof. Dr. Bryde.

„Richter und Gesetzgeber sollten sich ihrer Rolle bewusst sein und gemeinsam Recht bewirken“

So Prof. Dr. Bryde, der die Existenz von Richterrecht bejahte, grade im Arbeitsrecht. Das Gesetz sei auf Konkretisierung durch die Gerichte angewiesen, die Gerichte dürfen sich aber nicht als Gesetzgeber aufspielen. Der Umgang wäre seiner Ansicht nach einfacher, wenn alle offen zugeben würden, dass es Richterrecht gibt. 

Dr. Levits betonte das stete Ziel, dem europäischen Recht zur Wirkung zu verhelfen. Charakteristisch für die Rechtsprechung des EuGH sei es, das europäische Recht immer ernst zu nehmen. Er betonte, dass die Rechtsprechung immer aus europäischer Perspektive erfolge und der EuGH auch bei der Methodik autonom sei. Dies beziehe sich auf die Auslegung, wo zwar immer die gleichen Grundregeln gelten, aber die Staaten unterschiedliche Hilfsregeln zu den Grundregeln haben können. Sein klares Statement: Es müsse immer ausgelegt werden, also bei allen Normen, die der EuGH anwendet.

Podiumsdiskussion mit DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine lebhafte Podiumsdiskussion mit Anette Kramme, Parlamentarische Staatssekretärin aus dem Ministerium für Arbeit und Soziales, Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes sowie Vorstandsvorsitzender der Hans-Böckler-Stiftung und Dr. Klaus-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Chemie. 

Wird das Tarifeinheitsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht  und dem Europäischen Gerichtshof standhalten können?  Frau Kramme bejahte diese provokative Frage. Das Ministerium sei fest davon überzeugt. Das Regelungsziel sei der Betriebsfrieden. Reiner Hoffmann räumte den Bedarf von Nachbesserungen ein; da Bezug auf den Betrieb und nicht auf das Unternehmen genommen werde, bestünde die Gefahr von Manipulationen. Er geht aber von der Verfassungsgemäßheit des Gesetzes aus. Die Zielgebung für die Gewerkschaften sei es, den Grundsatz „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ zu stärken. Das sozialpolitische Ziel sei, Konkurrenz unter den Beschäftigten vermeiden.  

Auch Herr Stiller als Vertreter für die Arbeitgeberseite zeigte sich optimistisch, dass das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht hält. 

Abschreckende Sanktionen notwendig wegen Missbrauch von Leih- und Werkvertragsarbeit

Im Fokus stand sodann das geplante Gesetz zur Verhinderung von Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen. 

Reiner Hoffmann hatte hierzu eine klare Meinung. Damit könnten die Gewerkschaften nicht zufrieden sein. Bei Werkvertragsarbeit müsse klar definiert werden, was Werkvertragsarbeit ist. Die Leiharbeit als vernünftiges Instrument werde für Lohndumping missbraucht, was auch für die Werkverträge gelte. Da beide Instrumente zum Missbrauch geeignet seien, forderte Reiner Hoffmann klare Grenzen. 

Herr Stiller sah das Problem nicht im Gesetz, sondern in der Durchsetzung und den Kontrollen. Der Konsens: Abschreckende Sanktionen sind notwendig!

Auch Befristungen und Minijobs wurden thematisiert. Frau Kramme sprach sich hier für das Recht auf befristete Teilzeit aus. Klares Statement von Reiner Hoffmann: „Minijobs gehören nicht in unsere Welt. Sie sind ein Geschäftsmodell, dass nicht zur sozialen Marktwirtschaft gehört.“