1919: 90% aller wahlberechtigten Frauen gehen zur Wahl! Copyright by irina_levitskaya/adobestock
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Etwa 10% der gewählten Abgeordneten waren also Frauen. Das klingt wenig. Im Vergleich zum Anteil der weiblichen Abgeordneten in den ersten Wahlperioden in der Bundesrepublik war dieser Wert jedoch beachtlich. Ein vergleichbarer Anteil wurde erst wieder im deutschen Bundestag von 1983 erreicht. Unter heutigen Maßstäben fast sensationell war die Wahlbeteiligung: 90% der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab.
 

Rechtsgrundlage war ein Aufruf der provisorischen Regierung

Rechtsgrundlage für das aktive und passive Wahlrecht der Frauen war ein „Aufruf an das deutsche Volk“ vom 12.November 1918. Erlassen hatte ihn der „Rat der Volksbeauftragten“, die provisorisch Reichsregierung während der Novemberrevolution.
 
In unserem Artikel vom 12. November 2018 haben wir uns ausführlich mit der geschichtlichen Entwicklung bis zur vollen rechtlichen Gleichstellung der Frauen in Deutschland befasst.
 
Artikel „100 Jahre Frauenwahlrecht“
 
Die Nationalversammlung hatte zwei wichtige Aufgaben. Zum einen sollte der Rat der Volksbeauftragten durch eine demokratisch legitimierte Regierung abgelöst werden. Zum anderen sollte sie eine demokratische Verfassung der deutschen Republik beschließen. Wegen der anhaltenden politischen Unruhen in Berlin konstituierte sich die Nationalversammlung in Weimar, weshalb die erste deutsche Republik auch „Weimarer Republik“ genannt wurde.
 
Zur politischen Entwicklung bis zur Gründung der Weimarer Republik hatten wir bereits berichtet.
 
Artikel „Der Kaiser ist weg  - Novemberrevolution vor 100 Jahren“
 

Frauen sind nach der Reichsverfassung „grundsätzlich“ gleichberechtigt

Wie unser Grundgesetz enthielt die Weimarer Reichsverfassung (WRV) bereits Grundrechte. So bestimmte sie, dass alle Deutschen vor dem Gesetz gleich sind. Anders als heute garantierte die WRV also nicht allen Menschen, sondern nur deutschen Staatsbürgern die rechtliche Gleichheit. Die WRV regelte im Übrigen nur, dass Frauen "grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten" wie Männer haben.
 
Von einer völligen rechtlichen Gleichstellung war mit in der Weimarer Republik indessen noch weit entfernt. Die wurde in der Bundesrepublik Deutschland erst 1977 durch das Ehereformgesetz erreicht. Bis dahin durften verheiratete Frauen ohne Zustimmung ihres Ehemannes etwa nicht arbeiten. Es galt das gesetzliche Leitbild der „Hausfrauenehe“. Der Mann war der Haushaltsvorstand und vertrat die Familie in allen Belangen. Die Ehefrau war vorrangig für den Haushalt und die Versorgung der Kinder zuständig. Auch mit Zustimmung des Ehemannes durfte eine Ehefrau nur dann arbeiten, wenn sie dadurch ihre Pflichten als Hausfrau nicht verletzte.
 

Ein neues Frauenbild in der Weimarer Republik

Insbesondere in den deutschen Großstädten änderte sich das Frauenbild in der Weimarer Republik gleichwohl sichtbar. Frauen nahmen jetzt häufiger am sozialen Leben teil. Es entstand das Bild der „neuen Frau“ mit Bubikopf und kurzem Kleid, die sich nicht mehr nur um häusliche Belange kümmerte, sondern aktiv am politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilnahm. Dreimal mehr Frauen als vor dem ersten Weltkrieg waren in den zwanziger Jahren  erwerbstätig. Tatsächlich betraf das alles aber nur eine relativ kleine Gruppe lediger Frauen in den Großstädten. Überwiegend verblieben Frauen in dieser Zeit in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter.
 
Im Nationalsozialisten hatten die Frauen wieder ausschließlich eine dienende Rolle. Eine Frau sollte selbstlos Opfer für die „Volksgemeinschaft“ insbesondere als treusorgende Ehefrau und Mutter erbringen. Beruf und Politik sollte den Männern vorbehalten bleiben. Im Reichstag gab es nach den letzten Wahlen im Nationalsozialismus vom März 1933 keine Frauen mehr. Allerdings hatte das Parlament ohnehin mit dem Ermächtigungsgesetz keine relevante Funktion mehr.
 

Viele Männer hielten auch nach der Befreiung vom Faschismus nichts von gleichberechtigten Frauen

Die volle rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau war auch nach der Befreiung vom Faschismus ein Thema. Zwar stand das aktive wie passive Wahlrecht für alle Frauen ab dem vollendeten 21. Lebensjahr nicht ernsthaft zur Diskussion. Aber bereits die Aufnahme des Satzes „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ in das Grundgesetz war höchst umstritten, insbesondere bei den konservativen Mitgliedern des Parlamentarischen Rates. Erst der unermüdliche Einsatz der Abgeordneten Elisabeth Selbert (SPD) führte schließlich dazu, die rechtliche Gleichstellung von Mann und Frau als eigenständiges Grundrecht in das Grundgesetz aufzunehmen. Nach mehreren gescheiterten Abstimmungen konnte sie mit Unterstützung von Frauenrechtsorganisationen und zahlreicher außerparlamentarischer Aktivitäten schließlich die Aufnahme der Klausel in die Verfassung erreichen.
 
Gleichwohl dauerte es noch etwa 30 Jahre, bis Frauen den Männern in der Bundesrepublik Deutschland rechtlich vollständig gleichgestellt wurden.
 

Frauen haben erreicht, was selbstverständlich ist

Am 19. Januar 1919 geschah also nichts Revolutionäres aus Sicht der Frauen. Den Männern zumindest juristisch gleichberechtigt wurden sie erst mehr als ein halbes Jahrhundert später nach einer Zeit mühevoller Kämpfe und etlicher Rückschläge. Gleichwohl ist dieser Tag ein wichtiges Datum auf dem Weg zur Gleichberechtigung.
 
Die SPD-Politikerin Marie Juchacz hat als erste Frau in Deutschland eine Rede vor einem demokratisch gewählten Parlament gehalten. Sie hat auf den Punkt gebracht, wie der 19. Januar 1919 historisch in Bezug auf Frauenrechte einzuordnen ist:
 
„Ich möchte hier feststellen, und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“
 

Zur Vertiefung:
Zur Geschichte des Frauenwahlrechts auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung
„Bubikopf und kurze Röcke“ auf der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung
Erste Rede einer Frau im Reichstag am 19. Februar 1919. Dokumente des Deutschen Bundestages