Ehemalige Mitglieder der Deutschen Volkspolizei sollten ihre Rentenbescheide überprüfen. Copyright by Art of Success/Fotolia
Ehemalige Mitglieder der Deutschen Volkspolizei sollten ihre Rentenbescheide überprüfen. Copyright by Art of Success/Fotolia

Im DDR-Rentenrecht existierten neben der gesetzlichen Rentenversicherung vier Sonderversorgungssysteme für bestimmte Staatsbedienstete, unter anderem das Sonderversorgungssystem für Bedienstete der Deutschen Volkspolizei.
 
Dieses Versorgungssystem war  - wie die anderen Sonderversorgungssysteme auch  - vollständig von der gesetzlichen Rentenversicherung abgekoppelt und ging auch über deren Leistungsumfang hinaus.
 
Die Sonderversorgungssysteme gingen in mehreren Schritten in das Rentensystem der BRD über. Die ehemaligen Beschäftigten der Deutschen Volkspolizei können deshalb heute zusätzliche Rentenansprüche auf der Grundlage ihres damaligen Verdienstes geltend machen. Rechtsgrundlage dafür ist das Anspruchs-und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG).
 

Ist Verpflegungsgeld Arbeitsentgelt?

Eine immer wieder auftretende Streitfrage war und ist, welche Zahlungen als Grundlage für die Rentenberechnung heranzuziehen sind. So haben die damaligen Bediensteten der Deutschen Volkspolizei neben ihrer Grundvergütung Verpflegungsgeld und Wohnungsgeld erhalten.
 
Für die Berechnung und Feststellung der Arbeitsentgelte innerhalb der Sonder- versorgungssysteme sind die Landesbehörden (in der Regel die Polizeiverwaltungsämter) zuständig. Erkennen sie das früher gezahlte Verpflegungsgeld und Wohnungsgeld als Arbeitsentgelt an, muss die Deutsche Rentenversicherung dieses als Arbeitsentgelt bei der Rentenberechnung berücksichtigen. Hier gibt es aber Probleme. In der Regel erkennen die Behörden Wohnungsgeld als Arbeitsentgelt an. Dagegen stellen sie sich bei dem Verpflegungsgeld auf den Standpunkt, dass es sich hier um eine Sozialleistung des damaligen Arbeitgebers und nicht um Arbeitsentgelt gehandelt habe. Schließlich sei das Verpflegungsgeld nach DDR -Recht auch nicht steuerpflichtig gewesen.
 

Landessozialgerichte: Verpflegungsgeld ist Arbeitsentgelt

Die Landessozialgerichte von Mecklenburg -Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen sahen das anders: Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung. Dabei spielt es keine Rolle, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden oder ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung bzw. aus einem Dienstverhältnis erzielt werden.
Außerdem sei das ab 7. September 1990 geltende bundesdeutsche Steuerrecht maßgebend. Danach ist Verpflegungsgeld als Einkunft aus nichtselbstständiger Arbeit und damit Arbeitsentgelt zu bewerten. Somit müsse es auch bei der Rentenberechnung herangezogen werden.

Inzwischen haben die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Berlin, Brandenburg sowie der Freistaat Thüringen auf diese Rechtsprechung reagiert. Neben dem Bekleidungsgeld und Wohnungsgeld wird auch das Verpflegungsgeld auf Antrag der Betroffenen als Arbeitsentgelt berücksichtigt.
 

Sonderfall Sachsen

Eine Ausnahme stellt Sachsen dar, das (wieder einmal) eigene Wege geht. Wenn die Betroffenen Anträge auf Anerkennung des Verpflegungsgeldes als Arbeitsentgelt stellen, müssen sie mit einem ablehnenden Bescheid rechnen. Dabei hatte das Sächsische Landessozialgericht in einer Entscheidung von Januar 2018 zunächst zugunsten der Betroffenen entschieden und festgestellt, dass Verpflegungsgeld Arbeitsentgelt ist und somit auch bei der Rente zu berücksichtigen ist. Allerdings ist man sich da gerichtsintern wohl nicht so recht einig: dasselbe Gericht (diesmal ein anderer Senat) hat im Juni 2019 das Gegenteil entschieden und festgestellt, dass das Verpflegungsgeld nicht als Arbeitsentgelt anerkannt werden kann. Das Verpflegungsgeld sei als Sachbezug anzusehen und habe somit keinen Entgeltcharakter. Diese Urteile (es handelt sich um mehrere) sind allerdings noch nicht rechtskräftig geworden. Man darf gespannt sein, wie die Sache weitergeht.

Das sagen wir dazu:

Während in vier der fünf ostdeutschen Bundesländern das Verpflegungsgeld als Arbeitsentgelt anerkannt wird, müssen sich die Betroffenen in Sachsen wohl oder übel auf eine längere Odyssee vor den Sozialgerichten einstellen. Unter Rechtsklarheit und Rechtssicherheit versteht man etwas anderes.

Bei dem Verpflegungsgeld handelte es sich nicht um kleine Beträge. Je nach Dienstgrad haben die Beschäftigten Beträge in Höhe von 1.000-1.500 DDR-Mark pro Jahr erhalten. Es lohnt sich also unbedingt, seinen Rentenbescheid oder Überführungsbescheid zu überprüfen, ob das Verpflegungsgeld bei der Rentenberechnung berücksichtigt worden ist. Normalerweise sind die nach dem AAÜG zu berücksichtigenden Arbeitsentgelte in der Anlage 6 des Bescheids aufgeführt. Wenn nicht klar ist, ob auch das Verpflegungsgeld berücksichtigt ist, sollte unbedingt ein Überprüfungsantrag beim zuständigen Polizeiverwaltungsamt gestellt werden.

Die Polizeiverwaltungsämter sind bei der Bearbeitung nicht gerade die schnellsten. Sie weisen immer wieder darauf hin, dass man die höchstrichterliche Rechtsprechung durch das Bundessozialgericht abwarten wolle. Solch ein Urteil ist aber erst einmal nicht in Sicht. Betroffene ehemalige Beschäftigte der Deutschen Volkspolizei sollten sich daher nicht abspeisen lassen, sondern ihre Verfahren weiterbetreiben. Notfalls sollten sie mit einer Untätigkeitsklage drohen.

Rechtliche Grundlagen

§ 6 Abs 1 AAÜG

(1) Den Pflichtbeitragszeiten nach diesem Gesetz ist für jedes Kalenderjahr als Verdienst (§ 256a Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch) das erzielte Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen höchstens bis zur jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze nach der Anlage 3 zugrunde zu legen. Abweichend von Satz 1 ist während der Zugehörigkeit zu einem Sonderversorgungssystem nach dem 30. Juni 1990 bis zum 31. Dezember 1990 der Betrag von 2 700 Deutsche Mark im Monat, vom 1. Januar 1991 bis zum 30. Juni 1991 der Betrag von 3 000 Deutsche Mark im Monat und vom 1. Juli 1991 bis zum 31. Dezember 1991 der Betrag vom 3 400 Deutsche Mark im Monat maßgebend. Satz 1 und 2 gilt auch, wenn die Berechnungsgrundlage für das Übergangsgeld nach den §§ 67 und 68 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch oder durch andere Träger der Teilhabe am Arbeitsleben nach den für diese geltenden Vorschriften aus einem Einkommen vor dem 1. Juli 1990 ermittelt wird.

§14 Abs 1 SGB IV

(1) Arbeitsentgelt sind alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind auch Entgeltteile, die durch Entgeltumwandlung nach § 1 Absatz 2 Nummer 3 des Betriebsrentengesetzes für betriebliche Altersversorgung in den Durchführungswegen Direktzusage oder Unterstützungskasse verwendet werden, soweit sie 4 vom Hundert der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze der allgemeinen Rentenversicherung übersteigen.

§ 44 Abs 1 SGB X
(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.