Ganz rund lief es schon lange nicht in dem 200-Mann-Betrieb im niedersächsischen Nienburg. Autoteile werden dort gereinigt. Lediglich 6,14 € pro Stunde gab es dafür für die Stammbelegschaft. Aber die wurde immer mehr zurück gedrängt. Mehr als 100 Kolleg*innen aus Bulgarien gab es dort zuletzt. Nicht als festangestellte Beschäftigte. Leiharbeiter waren es zunächst. Aber auch die wurden immer mehr ersetzt. Zuletzt arbeiteten die bulgarischen Kollegen nur noch als Beschäftigte von Werkvertragsunternehmen.

Lohnerhöhung dank IG BCE

Mit Hilfe der Gewerkschaft IG BCE  konnte eine Lohnerhöhung durchgesetzt werden. Sogar der Geschäftsführer des größten Kunden des Industriefertigungs-Unternehmens hatte sich dafür stark gemacht. 6,80 € pro Stunde gab es zuletzt, 7,95 € sollen es im Jahr 2015 sein. Diese Vereinbarungen stammen noch aus Zeiten, zu denen an den gesetzlichen Mindestlohn noch nicht zu denken war.

Andreas Wieder, zuständiger Gewerkschaftssekretär der IG BCE, erinnert sich an schwierige Verhandlungen des Haustarifvertrages. Groß war der Spielraum nicht. „Als Zulieferer eines Zulieferers der Automobilindustrie steht der Nienburger Betrieb selber am Ende der Fresskette“, so Wieder. Und: eine Verlagerung der Produktion nach Polen stand unausgesprochen immer im Raum. „Deshalb war die vereinbarte Lohnerhöhung ein erster Erfolg“, betont Gewerkschaftssekretär Wieder.

Verdeckte Leiharbeit

Von einem Stundenlohn über 6,- € können die bulgarischen Werkvertragsbeschäftigten nur träumen. Zirka 4,50 € betrug ihr Hungerlohn. Und auch sonst arbeiteten sie ziemlich rechtlos: Kein Urlaub, keine Entgeltfortzahlung, und einen freien Sonntag gab es auch erst nach einer Intervention des Betriebsrates.

Eine saubere Trennung beider Belegschaften, wie es die gesetzlichen Vorgaben bei Werkvertrags-Beschäftigten vorschreiben, gab es auch nicht. Die bulgarischen Kolleg*innen arbeiteten nicht wirklich wie Werkvertragsbeschäftigte. Ihre Anweisungen am Arbeitsplatz erhielten sie von den Teamleitern des Nienburger Betriebes, nicht von ihrem eigenen Arbeitgeber. Verdeckte Leiharbeit war es also. Und gegen die wollte sich der Betriebsrat wehren.

Artikel auf der Homepage der IG BCE

Dann ging es Schlag auf Schlag: Ein Bericht auf der Homepage der IG BCE brachte den Stein ins Rollen. Darin wurde der Missbrauch von Werkverträgen angeprangert, die Zustände im Nienburger Unternehmen wurden kritisiert. Und auch der 42-jährige Betriebsrat kam in diesem Bericht zu Wort.

Das sollte ihm zum Verhängnis werden. Der BCE-Artikel wurde gelesen und vom Arbeitgeber nicht für gut befunden. Auch der Großkunde des Industriefertigungs-Unternehmens verlangte aufgrund der angeprangerten Missstände Aufklärung und drohte angeblich mit dem Entzug der Aufträge. Da reagierte der Chef.

Fristlose Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden

Die fristlose Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden wurde betrieben. Da das Betriebsrats-Gremium die hierfür gesetzlich notwendige Zustimmung verweigerte, wurde das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Absatz 2 Betriebsverfassungsbesetz (BetrVG) eingeleitet. Der Arbeitgeber warf dem Betriebsratsvorsitzenden Schädigungsabsicht aufgrund des Internet-Artikels vor. Er habe in dem veröffentlichten Interview bewusst Unwahrheiten von sich gegeben und damit seinen Arbeitgeber verunglimpft und als Betrüger und Gesetzesbrecher dargestellt.

Hilfe vom DGB Rechtsschutz

„Nicht überzeugend“, befand jedoch Thomas Schlingmann, Rechtsschutzsekretär im Bremer Büro der DGB Rechtsschutz GmbH, der den Betriebsratsvorsitzenden im Verfahren vor dem Arbeitsgericht Nienburg vertrat. Der Jurist verwies auf die vom Grundgesetz geschützte Meinungsfreiheit: „Ein Betriebsrat ist nicht gehalten, sich in der Öffentlichkeit durchweg positiv über seinen Arbeitgeber zu äußern. Sachliche Kritik darf er erwähnen“.

Erfolg vor dem Arbeitsgericht

Dem folgte auch das Arbeitsgericht Nienburg. Das Kündigungsbegehren des Arbeitgebers wurde rechtskräftig zurückgewiesen. Der Beschluss der Arbeitsrichter weist den Chef deutlich in die Schranken und bricht eine Lanze für die Meinungsfreiheit im Betrieb. In den Äußerungen des Betriebsratsvorsitzenden sah das Gericht keine unzulässige Kritik am Unternehmen. Kritische Bemerkungen auch gegenüber dem Arbeitgeber seien durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt. Unsachliche und ehrverletzende Äußerungen, die in der Tat auch arbeitsrechtlich bedenklich sind, hat der Betriebsrat nicht gemacht. Die Kritik an der unsauberen Beschäftigung der bulgarischen Werkvertrags-Beschäftigten war zulässig und kein Kündigungsgrund. 

Der gerichtliche Beschluss war überzeugend. Der Arbeitgeber versuchte nicht einmal, ihn in der 2. Instanz anzufechten.

„Wir fühlen uns machtlos“

Bei der Betriebsratswahl im Jahr 2014 wurde der Gewerkschafter wieder in den Betriebsrat gewählt. Er ist immer noch Vorsitzender. Der Kampf gegen die unübersichtliche Situation der Werkvertrags-Beschäftigten geht weiter. Fehlende gesetzliche Regelungen auf diesem Gebiet, insbesondere fehlende Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte, haben die Situation nicht verbessert. Es bleibt dabei: „Wir fühlen uns machtlos“.

Und Gewerkschaftssekretär Andreas Wieder hat auch eine neue Herausforderung: Die Umsetzung des gesetzlichen Mindestlohnes im Nienburger Betrieb, auch für die bulgarischen Werkvertrags-Beschäftigten, steht auf der Tagesordnung.

Michael Mey, Hagen


Arbeitsgericht Nienburg am 20.8.2013, 1 BV 3/13

 

Den Artikel auf der Homepage der IG BCE „Wir fühlen uns machtlos“ können Sie hier nachlesen:

 

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