Eine krankheitsbedingte Kündigung ist in der Regel unwirksam, wenn kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt wurde. Copyright by Coloures-Pic/fotolia
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist in der Regel unwirksam, wenn kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt wurde. Copyright by Coloures-Pic/fotolia

Mit Hilfe des DGB Rechtsschutz konnte ein IG Metall-Mitglied eine personenbedingte Kündigung abwehren.
 
Der im Jahr 1959 geborene Kläger ist bei der Beklagten, einer Handwerksfirma, als Klempner beschäftigt. Seit Februar 1975 führt er Installations-, Heizungs- und Dacharbeiten aus.
Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge des Gas- und Wasserinstallateur- und Klempnerhandwerk der Freien und Hansestadt Hamburg Anwendung.
 

Beklagte kündigt Arbeitsverhältnis

Durchschnittlich verdient der Kläger 2.800 EUR brutto. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer, mithin ist das Kündigungsschutzgesetz anwendbar. Im Betrieb der Beklagten besteht ein Betriebsrat.
 
Seit November 2015 ist der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete zunächst Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Diese endete im Dezember 2015. Nach Anhörung des Betriebsrates kündigte die Arbeitgeberin den Kläger zum 31. Dezember 2017.
 
Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger sei nicht mehr arbeitsfähig. So lasse es sein Gesundheitszustand nicht mehr zu, ihn vollschichtig als Klempner zu beschäftigen.
Die auflaufenden Urlaubsansprüche machten es für sie unzumutbar, den Kläger weiter zu beschäftigen.
 

Hintergrund: Personenbedingte Kündigung

Die Beklagte stützt die Kündigung auf personenbedingte Gründe. Personenbedingte Gründe sind im Unterschied zu verhaltensbedingten Gründen solche, die der Arbeitnehmer nicht durch sein Verhalten steuern kann. Personenbedingte Gründe sind nicht vom Arbeitnehmer verursacht, sie widerfahren ihm schlicht. Häufigster Fall der personenbedingten Kündigung ist die Kündigung wegen Krankheit.
 
Ob eine Kündigung gerechtfertigt ist, wird in drei Stufen geprüft: Zunächst muss eine negative Prognose vorliegen. Bei Arbeitnehmern, die in der Vergangenheit lange oder sehr häufig arbeitsunfähig fehlten, können auch Fehlzeiten in der Zukunft erwartet werden. Die Kündigung soll keine Strafe darstellen. Sie ist an sich schlicht ein Instrument zur Auflösung eines Arbeitsverhältnisses, wenn ein grundsätzlich reibungsloser Ablauf nicht mehr erwartet werden kann.
 
Auf einer zweiten Stufe müssen betriebliche Interessen in einem erheblichen Umfang beeinträchtigt sein. Dies ist etwa der Fall, wenn die Arbeit des kranken Arbeitnehmer nicht oder nur schwerlich von anderen Mitarbeitern erledigt werden kann. Auch hohe Entgeltfortzahlungskosten können eine solche Beeinträchtigung darstellen.
 
Im Rahmen der dritten Stufe findet eine umfassende, auf den Einzelfall bezogene Interessenabwägung statt. Hier wird geprüft, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer nicht mehr zumutbaren Belastung für den Arbeitgeber geworden sind. Die Interessen der Parteien werden gegeneinander abgewogen.
 

Kläger wehrt sich

Der Kläger ging gegen die Kündigung vor. Er führte zur Begründung aus, seit November 2015 sei er an einem Rückenleiden und Bandscheibenbeschwerden erkrankt. Dann habe er im Juli 2016 einen Badewannensturz erlitten. Hierbei habe er sich eine weitere Verletzung der Lendenwirbelsäule zugezogen und sei sodann weiter ärztlich behandelt worden.
 
Die Behandlung sei seit September 2017 beendet, die Schmerzen seien nicht mehr so schlimm. Zur weiteren Begründung führt der Kläger aus, er leide seit 2016 an Beschwerden am Karpaltunnel der rechten Hand. Gegen dieses Leiden sei ihm empfohlen worden, ergonomische Zangen und spezielle Handschuhe zu verwenden und physiotherapeutische Übungen durchzuführen.
 
Er sei fähig, Arbeitsleistung für die Beklagte zu erbringen, etwa im Bereich Kundenakquise oder Leckageortung. Diese Arbeiten habe er auch in der Vergangenheit im Umfang von rund einem Drittel seiner Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht. Nur eine reine Tätigkeit als Klempner bzw. Installateur traue er sich momentan noch nicht zu.
 
Vor allem habe die Beklagte es aber versäumt, dem Kläger den Wiedereinstieg die Arbeit zu ermöglichen. Weil er kein Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchgeführt habe. In einem solchen BEM hätte man die alternativen Einsatzmöglichkeiten erörtern können. Daher fehle es an einer negativen Gesundheitsprognose.
 

Kein BEM  - Kündigung nicht gerechtfertigt

Das Arbeitsgericht Hamburg gab dem Kläger Recht und berief sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Danach ist die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements keine Voraussetzung für eine personenbedingte Kündigung.
 
Allerdings sind die gesetzlichen Regelungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Dieser Grundsatz ist bei jeder Kündigung im Rahmen des Kündigungsschutzgesetzes zu berücksichtigen.
 
Im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements können mildere Mittel als eine Kündigung festgestellt und erörtert werden, so etwa eine Umsetzung des Arbeitnehmers auf einen anderen Arbeitsplatz. Auch eine Umgestaltung des bisherigen Arbeitsplatzes kann in Frage kommen. Der Arbeitgeber soll konstruktiv Wege aufzeigen, die dem Arbeitnehmer eine Rückkehr in die Erwerbstätigkeit ermöglichen.
 

Kein BEM  - keine Vorteile

Der Arbeitgeber trägt die Darlegungslast für das Nichtvorhandensein anderer Beschäftigungsmöglichkeiten. Die Beklagte hätte darlegen müssen, dass sie den Kläger nicht mehr einsetzen kann. Sodann hätte der Kläger darlegen müssen, dass für ihn eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit besteht.
 
Nach Ansicht des Arbeitsgerichts können diese Grundsätze der sogenannten Darlegungs- und Beweislast jedoch nicht angewendet werden, wenn der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt hat.
 
Das Unterlassen des Arbeitsgebers darf keinesfalls zu einem prozessualen Vorteil für ihn werden.
Auch den Nachweis, dass ein BEM objektiv nutzlos gewesen sei, blieb die Beklagte nach Ansicht des Arbeitsgerichts schuldig. Daher war die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt.
 
Hier finden Sie das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg

 
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Das sagen wir dazu:

Dem Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg ist zuzustimmen: Arbeitnehmer und Arbeitgeber haben aufgrund des Arbeitsvertrages gegenseitige Treuepflichten. Arbeitgeber verstehen dies häufig nicht – aber es ist so: viele Arbeitnehmer entwickeln nach langer Unternehmenszugehörigkeit eine hohe Identifikation mit „ihrem“ Unternehmen.

Gesetzgeber berücksichtigt Betriebstreue

Dem trägt der Gesetzgeber unter anderem dadurch Rechnung, dass die gesetzlichen Kündigungsfristen für Arbeitgeber mit zunehmender Dauer des Arbeitsverhältnisses anwachsen. Spiegelbildlich dazu ist es nicht akzeptabel, dass ein Arbeitgeber einen treuen Arbeitnehmer einfach so loswerden will. Beide sind schließlich miteinander alt geworden.

Deshalb soll ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach dem Willen des Gesetzgebers unbedingt durchgeführt werden. Die verbliebene Arbeitsfähigkeit soll so für beide Parteien nutzbar gemacht werden. Das Arbeitsverhältnis soll nach Möglichkeit weiter bestehen.

Führt der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement durch, handelt er treuwidrig. Das Arbeitsgericht Hamburg urteilte konsequent, dass sich aus diesem Verhalten für die Beklagte keinerlei Vorteile ergeben dürfen.

Für den Kläger war das Verfahren mit keinerlei Risiken verbunden. Die juristische Beratung und Vertretung vor Gericht ist im Mitgliedbeitrag seiner Gewerkschaft enthalten. Weitere Kosten entstehen für Gewerkschaftsmitglieder nicht – ein unschlagbarer Vorteil für Gewerkschaftsmitglieder.

Rechtliche Grundlagen

§ 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz

Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn
1. in Betrieben des privaten Rechts
a) die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b) der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat.