Die 1950 geborene Klägerin war bei der beklagten Gemeinschaftspraxis seit Dezember 1991 als Arzthelferin beschäftigt und wurde zuletzt überwiegend im Labor eingesetzt. Neben der Klägerin waren im Jahre 2013 noch vier jüngere Arbeitnehmerinnen tätig.

Klägerin erhebt Klage gegen die Wirksamkeit der Kündigung und verlangt Entschädigung wegen Altersdiskriminierung

Mit Schreiben vom 24. Mai 2013 kündigten die Gesellschafter der Beklagten das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2013. Begründet wurde die Kündigung mit Veränderungen im Laborbereich, welche eine Umstrukturierung der Praxis erforderten. Sicherlich um die Kündigung zu „untermauern“, sahen sich Beklagten veranlasst, in dem Kündigungsschreiben auszuführen, dass die Klägerin „inzwischen pensionsberechtigt“ sei. Den vier Kolleginnen der Klägerin wurde nicht gekündigt.


Mit ihrer Klage wendete sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der Kündigung und verlangt eine Entschädigung wegen Altersdiskriminierung. Sie begründete dies damit, dass das Kündigungsschreiben eine Benachteiligung wegen ihres Alters vermuten lasse. 


Die Beklagten erwidern hierauf, dass die Kündigung lediglich freundlich und verbindlich formuliert worden sei. Die Kündigung sei insbesondere wegen eines zu erwartenden Entfalls von 70 bis 80 % der abrechenbaren Laborleistungen erfolgt. Die Klägerin sei mit den übrigen Arzthelferinnen nicht vergleichbar, weil sie schlechter qualifiziert sei. Deshalb sei ihr gekündigt worden.

BAG sah Indizien für Altersdiskriminierung und korrigiert Entscheidungen der Vorinstanzen

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht folgten den Argumenten der beklagten Ärzte  und wiesen die Klage der Klägerin ab. Die Revision der Klägerin vor dem BAG hatte Erfolg. 


Der Sechste Senat kam zu dem Ergebnis, dass die Kündigung gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) verstößt und deshalb unwirksam ist. Die Beklagte habe nicht beweisen können, dass das Erwähnen der „Pensionsberechtigung“ keine Altersdiskriminierung darstellt. 


Auch wenn das AGG im Fall von Kündigungen auf „die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ verweise, greife das Diskriminierungsverbot auch im Kleinbetrieb, urteilten die Erfurter Richter. Das Kündigungsschutzgesetz gilt nur für Betriebe mit über zehn Beschäftigten.


Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen, dass nun zu klären hat, ob und in welcher Höhe die Klägerin Anspruch auf Entschädigung hat.

Anmerkung:

Wie schon in der Leitentscheidung vom 19.Dezember 2013 - 6 AZR 190/12 - prüft der Sechste Senat die außerhalb des Anwendungsbereiches des KSchG ausgesprochene Kündigung direkt am Maßstab des Benachteiligungsverbotes aus § 7 Abs.1 AGG.  


Ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz führt zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB); die Bereichsausnahme des § 2 Abs.4 AGG steht dem nicht entgegen. Es gilt die Beweislastregel des § 22 AGG. Eine Entschädigung nach § 15 AGG kann in demselben Verfahren durchgesetzt werden. Anders als das LAG hält der Senat die Benachteiligung wegen des Alters ("Pensionsberechtigung") nicht gemäß § 10 AGG für zulässig.


Nachdem der Sechste Senat mit seiner Entscheidung vom 23.Juli 2015 erneut deutlich machte, dass die Bestimmungen des AGG auf außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) ausgesprochene Kündigungen anzuwenden sind, ist zu hoffen, dass die Richter*innen der Arbeits- und Landesarbeitsgerichte dies bei ihren Entscheidungen zukünftig berücksichtigen und den Kläger*innen, die sich wegen Benachteiligungen gegen Kündigungen wehren, auf die das KSchG keine Anwendung findet, den Weg durch die Instanzen ersparen.

Links:

Pressemitteilung des BAG zum Urteil vom 23.07.2015 – Az.: 6 AZR 457/14

Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 19.Dezember 2013 – Az.: 6 AZR 190/12 als Volltext hier