Der Baubetrieb sollte geschlossen werden. Wegen der Größe des Betriebes war der Abschluss eines Interessenausgleiches gesetzlich vorgeschrieben. Geld für Abfindungen war angeblich nicht da. Doch der Chef kam auf eine für ihn geniale Idee: Er überrumpelte den Betriebsratsvorsitzenden und legte ihm einen unterschriftsreifen Interessenausgleich nebst Sozialplan, in dem Abfindungen ausgeschlossen wurden, vor. Der arglose Amtsträger ließ sich überrumpeln und fackelte nicht lange: er unterzeichnete, ohne das vollständige Betriebsratsgremium zu informieren. Den Chef freute es. Alle Beschäftigten, die gerichtlich einen Nachteilsausgleich geltend machten, guckten in die Röhre.

Klage auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs

Nach Betriebsschließung hatten sich viele der betroffenen Bauarbeiter mit Rechtsschutz ihrer Gewerkschaft, der IG BAU, an das Hagener Büro der DGB Rechtsschutz GmbH gewandt. Der zuständige Rechtsschutzsekretär, Martin Kühtz, erhob Klage auf Zahlung eines Nachteilsausgleiches. Seine Begründung: Die Betriebsschließung sei erfolgt ohne vorherigen Interessenausgleich. Soweit der Betriebsratsvorsitzende eine entsprechende Vereinbarung zwar unterschrieben habe, sei das wegen des Alleinganges nicht wirksam. Das könne sich nicht zum Nachteil der gesamten Belegschaft auswirken.

Kein Anspruch auf Nachteilsausgleich

Doch die Klagen der Beschäftigten wurden vom Arbeitsgericht Iserlohn zurückgewiesen. In der vom DGB Rechtsschutz eingelegten Berufung befand das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm: Nach § 113 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) genüge es ja schließlich, wenn der Arbeitgeber einen Interessenausgleich ernsthaft versuche. Und wenn ein vertretungsberechtigtes Betriebsratsmitglied unterzeichne, könne der Arbeitgeber darauf vertrauen, dass ein ordnungsgemäßer Betriebsratsbeschluss vorliege. Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Chef das eigenmächtige Vorgehen des Betriebsrates kannte oder hätte erkennen müssen. Ansonsten gelte der Grundsatz des Vertrauensschutzes.

Kungelei mit dem Chef war nicht nachweisbar

Demzufolge konnte sich in dem vom LAG Hamm entschiedenen Fall der Arbeitgeber darauf berufen, er habe den Abschluss eines Interessenausgleichs jedenfalls ausreichend versucht. Es bestand für ihn nicht einmal die Verpflichtung, sich nach einem ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss zu erkundigen. 

Die Klagen der Beschäftigten auf Zahlung des gesetzlichen Nachteilsausgleichs wurden mit dieser Begründung abgewiesen. Sie hätten nur dann Erfolg gehabt, wenn das Gericht die Ansicht vertreten hätte, dass aufgrund des Alleingangs des Betriebsrats nicht einmal von einem ernsthaften Versuch des Chefs zum Abschluss eines Interessenausgleichs auszugehen sei. Oder wenn diesem eine Kungelei mit dem Betriebsrat hätte nachgewiesen werden können. Dieser Nachweis gelang jedoch nicht.

Alleingang kostete 35 Beschäftigten den Nachteilsausgleich

Besonders tragisch: Der unsägliche Alleingang kostete allen 35 Beschäftigten den Anspruch auf Nachteilsausgleich. Und betroffen von der Klageabweisung war auch das Betriebsrats-Ersatzmitglied, das wegen Krankheit eines ordentlichen Betriebsrates nachgerückt war und an sich an Beratung und Beschlussfassung zu Interessenausgleich und Sozialplan hätte mitwirken müssen.

Vergeblich hatte der Prozessvertreter der klagenden Arbeitnehmer versucht, das Gericht davon zu überzeugen, dass der Arbeitgeber eine Erkundigungspflicht hinsichtlich des wirksamen Zustandekommens des Interessenausgleichs habe.

Auch die vom LAG Hamm zugelassene, von etlichen Betroffenen eingelegte Revision zum Bundesarbeitsgericht blieb erfolglos.

Anmerkung der Redaktion

Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG besteht, wenn in einem Betrieb mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern der Arbeitgeber eine Betriebsänderung, zum Beispiel eine Betriebsschließung, durchführt, ohne versucht zu haben, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu vereinbaren.

Wenn es nicht zum Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung kommt, genügt das ernsthafte Bemühen des Chefs um den Abschluss eines Interessenausgleichs.

Dazu reicht es aus – so das LAG Hamm – wenn er mit dem Betriebsratsvorsitzenden oder dem berechtigten Vertreter verhandelt. Wenn dann in der „Sphäre des Betriebsrates“ Fehler passieren, wenn also beispielsweise nicht einmal im Betriebsrat über den Interessenausgleich beraten wird, so ist das unschädlich. Es sei denn, der Chef kannte den Fehler oder hätte ihn erkennen können.


Sicherlich eine bedenkliche Entscheidung. So wird einem möglichen Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Zumindest schwerwiegende Fehler beim Zustandekommen einer Betriebsvereinbarung müssen auch dann zur Unwirksamkeit führen, wenn der Arbeitgeber diese nicht kennt. Immerhin kann die gesamte Belegschaft betroffen sein.

Das sah des Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm in seiner rechtskräftigen Entscheidung anders.

Michael Mey - Rechtsschutzsekretär und Onlineredakteur - Hagen

Die vollständige Entscheidung des LAG Hamm können Sie hier nachlesen: