Der besondere Kündigungsschutz für Mitglieder des Wahlvorstands beginnt erst, wenn der Wahlvorstand ordnungsgemäß auf einer Betriebsversammlung gewählt oder vom Arbeitsgericht bestellt wurde. Ein besonderer Kündigungsschutz im Vorfeld besteht nicht.

Der Fall:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von zwei ordentlichen und einer außerordentlichen Kündigung. Im Betrieb der Arbeitgeberin mit ca. 210 Beschäftigten wird Wellpappe für Verpackungen und Displays hergestellt. Der Kläger arbeitet seit 2009 dort in der Produktion.


Am 10.02.2012 fand eine Betriebsversammlung statt, auf der ein Wahlvorstand für die Betriebsratswahl eingesetzt werden sollte. Der Kläger wurde von der Gewerkschaft ver.di dafür vorgeschlagen. Allerdings kam keine wirksame Wahl zustande. Erst am 21.03.2012 bestellte das Arbeitsgericht Lingen einen Wahlvorstand, dem der Kläger aber nicht angehörte.


Mit Schreiben vom 17.02.2012 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum 31.03.2012. Nach Erhalt der Kündigung nahm der Kläger an einem Gewerkschaftstreffen teil, auf dem ein Video für die gewerkschaftliche Online-Sendung StreikTV (www.streiktv.de) aufgenommen wurde. Darin sagte der Kläger unter anderem, im Betrieb der Arbeitgeberin gebe es keine Fachkräfte, die den Umgang mit den Maschinen richtig beherrschen.


Das Video wurde am 22.02.2012 ins Internet gestellt und war auch bei Youtube und über den Facebook-Account des Klägers zu sehen. Mit Bezug auf die Äußerungen kündigte die Arbeitgeberin ihm am 15.03.2012 erneut »fristlos, hilfsweise fristgerecht«.


Vor Gericht machte der Arbeitnehmer geltend, als vorgeschlagener Kandidat für den Wahlvorstand stehe ihm besonderer Kündigungsschutz zu. Da der Arbeitgeber nicht die erforderliche Zustimmung eingeholt habe, seien alle Kündigungen vom 17.02. und 15.03.2013 unwirksam. Das ArbG wies seine Kündigungsschutzklage gegen alle Kündigungen ab.

Die Entscheidung:

Das LAG Hamm bestätigte das Urteil des Arbeitsgerichts. Die Arbeitgeberin sei berechtigt gewesen, dem Kläger ohne vorheriger Einholung einer Zustimmung außerordentlich zu kündigen. Der Kündigungsschutz für Mitglieder des Wahlvorstands bestimmt sich nach § 103 Abs. 1 BetrVG für außerordentliche und nach § 15 Abs. 3 KSchG für ordentliche Kündigungen.


Nach herrschender Meinung beginne der Sonderkündigungsschutz aber erst, wenn der Wahlvorstand ordnungsgemäß auf einer Betriebsversammlung gewählt oder vom Arbeitsgericht bestellt wurde. Der Kündigungsschutz erstrecke sich aber nicht auf Bewerbungen für den Wahlvorstand. Einer Minderheitsmeinung in der Literatur, die den Schutz auf das Vorfeld der Wahl ausdehnen wolle, könne nicht gefolgt werden.


Die außerordentliche Kündigung vom 15.03.2012 genüge den Anforderungen von § 626 BGB. Er habe in dem Video-Interview bei Streik.TV bewusst wahrheitswidrig behauptet, im Betrieb der Beklagten seien keine »Fachkräfte« vorhanden. Der Kläger habe wissen müssen, dass seine Aussagen, die er auch selbst im Internet mitverbreitet hatte, sich für die Arbeitgeberin geschäftsschädigend auswirken und potentielle Kunden abschrecken könnten.


Auch die nach § 626 Abs. 2 S. 1, 2 BGB einzuhaltende Zwei-Wochenfrist sei gewahrt. Die Arbeitgeberin habe dargelegt, dass ihr Niederlassungsleiter das Video erst am 09.03.2012 zufällig im Internet entdeckt habe. Dies habe der Kläger nicht widerlegen können. Auf die ordentlichen Kündigungen vom 17.02. und 15.03.2012 kam es für das LAG daher nicht mehr an.


Das LAG ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache die Revision zu, diese ist unter 2 AZR 505/13 beim Bundesarbeitsgericht anhängig.

Folgen für die Praxis:

Die Entscheidung ist insbesondere interessant für Betriebe, in denen ein Betriebsrat noch nicht besteht, aber erstmals gewählt werden soll. Dann nämlich wird der Wahlvorstand, der die Betriebsratswahl organisiert und durchführt, auf einer Betriebsversammlung gewählt. Die Mitglieder des Wahlvorstandes haben Sonderkündigungsschutz. Dies ist auch notwendig, da sonst ein Arbeitgeber, der einen Betriebsrat um jeden Preis verhindern will, den Mitgliedern des Wahlvorstandes schlicht kündigen könnte.


Das LAG hat es nun abgelehnt, diesen Sonderkündigungsschutz auch auf Bewerber für den Wahlvorstand auszudehnen. Erst ab Wahl in den Wahlvorstand soll der Sonderkündigungsschutz bestehen. An dieser Entscheidung ist zu kritisieren, dass sich hier eine Lücke im Schutz der Arbeitnehmer auftut, die sich für einen Betriebsrat engagieren. Bekommt der Arbeitgeber Wind davon, dass sich einige Arbeitnehmer in den Wahlvorstand wählen lassen wollen, kann er diese vor der Wahl kündigen. Auch kann er durch Störung der Betriebsversammlung ggf. verhindern, dass die Wahl des Wahlvorstandes zustande kommt. Diejenigen, die sich beworben hatten, sind dann ohne besonderen Schutz.


Selbst wenn dann ausgesprochene Kündigungen gerichtlich auf einen wirksamen Kündigungsgrund überprüft werden und der Arbeitgeber das Kündigungsschutzverfahren verlieren sollte, hat er doch verhindert, dass sich der Wahlvorstand mit diesen Arbeitnehmern bildet. Waren dies die einzigen in dem Betrieb, die bereit waren sich zu engagieren, hat der Arbeitgeber so wirksam einen Betriebsrat verhindert.


Eine Änderung dieser Entscheidung durch das BAG oder eine Nachbesserung des Gesetzgebers wäre daher erstrebenswert.


Auf den konkreten Fall bezogen sei aber noch angemerkt, dass auch der Sonderkündigungsschutz nicht unendlich ist. Die Verbreitung von wahrheitswidrigen und geschäftsschädigenden Aussagen im Internet muss der Arbeitgeber auch von einem seiner Mitarbeiter mit dem Sonderkündigungsschutz eines Wahlvorstandes nicht hinnehmen. Im Zweifel hätte wohl das Arbeitsgericht auf Antrag des Arbeitgebers die Zustimmung zur Kündigung ersetzt. Die außerordentliche Kündigung wäre dann rechtmäßig gewesen.

 

Lesetipp der Redaktion:

»Der Wahlvorstand - Zusammensetzung und Schutz« von Wolf-Dieter Rudolph in »Arbeitsrecht im Betrieb« 12/2009, S. 711-714.


Das Urteil des LAG Hamm vom 15.03.2013, Az: 13 Sa 6/13