Zehn Jahre arbeitgebernaher Betriebsrat

Mundipharma, ein weltweit agierendes Pharmaunternehmen, das sich gerne in Zeitschriften wie dem Focus als mitarbeiterfreundliches Unternehmen bezeichnen lässt, hatte lange Jahre keine Probleme mit dem Betriebsrat. Das Gremium war mit einer Mehrheit von Innendienstmitarbeitern ausgestattet, die jahrelang möglichen Konflikten mit dem Arbeitgeber aus dem Weg gingen. Ganze zwei Einigungsstellenverfahren hatte man in zehn Jahren der gedeihlichen Zusammenarbeit durchgeführt. Zu gerichtlichen Verfahren kam es überhaupt nicht. 

2010: Neuer Betriebsrat-Untauglicher Arbeitgeberversuch die Betriebsratsvorsitzende zu entfernen.

Das änderte sich schlagartig, als die Außendienstmitarbeiter unter der Führung der späteren Betriebsratsvorsitzenden die Betriebsratswahlen im Jahre 2010 gewannen und sich aufmachten, die aus ihrer Sicht bestehenden Missstände im Betrieb anzuprangern. 

Gemeinsam mit der Frankfurter Anwaltskanzlei Pflüger, versuchte der frühere Betriebsrat die neue Betriebsratsvorsitzende aus dem Amt entfernen zulassen. Was das Arbeitsgericht Wiesbaden noch für zulässig gehalten hatte, deckte das Hessische Landesarbeitsgericht bereits damals unter dem Vorsitz des Richters Rainer Bram, als eine von der Geschäftsführung gesteuerte Kampagne gegen die Betriebsratsvorsitzende Frau S. auf.

2014: Mundipharma nimmt erneut Anlauf sich der Betriebsratsvorsitzenden zu entledigen.

Nachdem es 2010 nicht gelang die Betriebsratsvorsitzende los zu werden, setzte die Mundipharma - Geschäftsführung auf die kommenden Betriebsratswahlen im Jahre 2014. 

In zwei Treffen von Innendienstmitarbeitern und Führungskräften soll der damalige Personalchef Martin Schöne die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat und insbesondere deren Vorsitzenden angeprangert und als hinderlich für die Ziele des Unternehmens dargestellt haben. Letztlich hätten die Behauptungen des Herrn Schöne in der Aussage gegipfelt „Frau S. muss weg. Wer Frau S. wählt, begeht Verrat am Unternehmen“.

Unter ausführlicher Darstellung der Besonderheiten des Wahlverfahrens wurde zudem erstmals in einem Führungskräftetreffen erörtert, welche Folgen das Aufstellen weiterer Listen gegen den amtierenden Betriebsrat auf das Wahlergebnis haben würde. Die Konsequenz der Geschäftsführung war, ein Aufruf an die Führungskräfte, eigene „gescheite“ Listen aufzustellen, um darüber die Mehrheit des amtierenden Betriebsrats zu kippen und eine Wiederwahl von Frau S. als Vorsitzende zu verhindern.

Kollektiver Gedächtnisschwund

Keine der bis zum dritten Verhandlungstag aufgerufenen Zeugen wollte oder konnte sich an solche Inhalte erinnern, obwohl bereits ein Memorandum von fünf Juristen der Rechtsabteilung von Mundipharma vorlag, die das Vorgehen des Geschäftsführers und des Personalleiters nicht nur als rechtswidrig sondern sogar als strafbar einstuften. 

Trotzdem hatte sich der Geschäftsführer Niederheide nach dem Erfolg von Mundipharma vor dem Arbeitsgericht in Wiesbaden noch in einer Email darüber gefreut, dass sich die „ergriffenen Maßnahmen langsam auszahlen“ und er „hoffe, dass man bei Frau S. und Co. am Ball bleibe.“

Umfassendes Neutralitätsgebot des Arbeitgebers

Das Hessische Landesarbeitsgericht behandelte das von drei Arbeitnehmer*innen eingeleitete Wahlanfechtungsverfahren wie bereits das Ausschlussverfahren gegen Frau S. unter Vorsitz von Richter Rainer Bram. Der machte bereits zu Beginn deutlich, dass seine Kammer nicht der Auffassung des Arbeitsgerichts Wiesbaden folgen würde. 

Dieses hatte über die Frage ob Mundipharma Einfluss auf die Betriebsratswahl genommen hatte, nicht entschieden, weil die behaupteten Vorwürfe der Einflussnahme auf die Wahl nicht während des eigentlichen Wahlzeitraums gelegen hätten sondern die fraglichen Veranstaltungen zwei bzw. drei Monate vorher stattfanden. Bram machte deutlich, dass das Neutralitätsgebot des Arbeitgebers umfassend sei und damit nicht nur auf die eigentliche Wahl beschränkt ist. 

Mit diesem Ansatz trat das LAG in eine umfassende Beweisaufnahme ein. Dabei standen die drei anfechtenden Mundipharma- Beschäftigten mit Unterstützung ihres Rechtsanwaltes Tjark Menssen von der EurAA Rechtsanwaltsgesellschaft vor dem Problem, die Informationen, die sie bislang nur von Dritten oder anonym erhalten hatten, belegen zu müssen. 

Früherer Leiter der Rechtsabteilung ebnet den Weg zur Wahrheitsfindung

Als Schlüssel für das Verfahren diente zunächst der frühere Leiter der Rechtsabteilung, der bereits von der Geschäftsführung offenbar deshalb geschasst worden war, weil er nicht bereit war, die Politik der Personalabteilung und der früheren Geschäftsführung weiter mitzutragen. 

Er legte auf Aufforderung des Gerichts das Memorandum vor, das seine fünf Juristen über das sogenannte „Scheunentreffen“ verfasst hatten, an dem er selbst nicht teilgenommen hatte und eröffnete so den Weg, um diese als Zeugen benennen zu können. 

Nachdem sich diese aber an das Scheunentreffen kaum erinnern konnten und der Wortlaut des Memorandums lediglich denn Hinweis auf eine Strafbarkeit des Vorgehens der Geschäftsführung enthielt, ohne selber im Hinblick auf die „Verratsäußerung“ konkret zu werden, beantragten die Anwälte der Geschäftsführung und des amtierenden Betriebsrats nun „eigene“ Zeugen vernehmen zu lassen. Auch diese konnten sich an die behauptete Äußerung nicht erinnern.

Eine Zeugin durchbricht die Schweigefront, die Mundipharma versucht hat, gegen die ehemalige Betriebsratsvorsitzende zu errichten. 

Eine weitere Zeugin, die erst zum letzten Verhandlungstag von den anfechtenden Mitarbeitern benannt wurde und die sich nicht auf Gedächtnislücken berief, brachte eine eindeutige Aussage vor. 

Die Zeugin fühlte sich zunächst veranlasst anzumerken, dass ihr die Erinnerungslücken der bisherigen Zeugen unerklärlich seien. Sie selber habe sich deshalb sehr unwohl gefühlt, vor Gericht aussagen zu müssen, weil ihre Erinnerung an diese bemerkenswerte Versammlung klar und deutlich sei und sie auch mit einigen anderen gesprochen habe, die sich ebenso gut erinnern könnten. 

Sie habe sich deshalb an den neuen Geschäftsführer Herrn Leitner gewendet und gefragt, wie sie mit der Situation umgehen solle. Der habe ihr bedeutet, dass sie selbstverständlich aussagen solle und sie selbstverständlich die Wahrheit zu sagen habe. Daraufhin habe sie sich an ihren unmittelbaren Vorgesetzten gewendet und ihm mitgeteilt, was ihre Erinnerung an das sogenannte „Scheunentreffen“ sei. Dieser habe ihr bestätigt, dass er die Äußerungen des Herrn Schöne auchso in Erinnerung habe. 

Darauf erklärte die Zeugin vor Gericht Herr Schön habe am Ende des Scheunentreffens erklärt: Frau S. muss weg. Wer Frau S wählt begeht Verrat! 

Die Strategie, die vom früheren Geschäftsführer Gunther Niederheide und dessen Personalchef  Martin Schöne mit Unterstützung der Anwaltskanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek entwickelt wurde, ist gescheitert. Mundipharma-Anwalt Weller in die Schranken gewiesen-Ordnungsruf durch Vorsitzenden Richter.

Rechtsanwalt Weller verstieg sich in seinem Plädoyer in den Vorwurf, Rechtsanwalt Menssen habe mit seinem Vortrag „ins Blaue hinein“ einen Prozessbetrug begangen und bezeichnete dessen Vortrag als „hahnebüchenen Quatsch“. was ihm nicht nur Stirnrunzeln bei den ehrenamtlichen Richtern sondern auch noch einen Ordnungsruf des Vorsitzenden einbrachte.

Rechtsanwalt Menssen: Einleitung eines Strafverfahrens gegen Mundipharma wird geprüft.

Tjark Menssen, der zugleich Leiter der Rechtsabteilung der DGB Rechtsschutz GmbH ist, äußerte nach dem Ende der Verhandlung, dass er diese Vorgänge nun sehr genau mit den Verantwortlichen im Vorstand und in der Bezirksverwaltung der IG BCE analysieren werde, um die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Mundipharma zu prüfen. 

Er merkte zugleich an, dass für diese Strategie der Arbeitgeber, Listen gegen einen amtierenden Betriebsrat in Stellung zu bringen, jede Belegschaft anfällig sei, die nicht gewerkschaftlich organisiert ist. Er hoffe, dass nun die Jahre der Angst und der Einschüchterung der Belegschaft bei Mundipharma vorbei seien und die Arbeitnehmer zeigen, dass sie den unglaublichen Einsatz für die Interessen der Belegschaft, den Frau S. und deren beiden Mitstreiter gezeigt hätten, belohnen und sich nun gemeinsam in der IG BCE organisieren, damit so etwas nicht wieder passiert. 

Anmerkung:


Die Entscheidung des Hessischen LAG ist begrüßenswert. Geradezu akribisch hat die 9. Kammer des LAG, unter Vorsitz des Richters Rainer Bram, die von drei Arbeitnehmer*innen eingelegte Beschwerde gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Wiesbaden, überprüft. Nach vier zügig durchgeführten Verhandlungstagen stand des Ergebnis fest: Mundipharma nahm in unzulässiger Weise Einfluss auf die Betriebswahlen 2014. Die von den Mundipharma-Anwälten der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek eingeschlagene Taktik zerplatze letztendlich wie eine Seifenblase.

Da das Bundesarbeitsgericht  (BAG) bisher noch keine Entscheidung zur Neutralitätspflicht des Arbeitgebers nach § 20 BetrVG getroffen hat, hat das LAG für die unterlegenen Antragsgegner die Rechtsbeschwerde zum BAG zugelassen. Es bleibt nun abzuwarten, ob hiervon Gebrauch gemacht wird. Sollte dies der Fall sein, so werden wir die Advokaten der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek weiterhin begleiten und über deren von Mundipharma sicherlich gut honorierte, aber in rechtlicher Hinsicht wenig überzeugende Argumentation berichten.

Hier können sie die Pressemitteilung  des Hessischen. Landesarbeitsgericht vom 13.11.2015 zum Verfahrensausgang nachlesen

Siehe hierzu auch den Bericht auf www.work-watch.de "LAG erklärt Betriebsratswahl für ungültig"


Im Praxisstipp: § 20 Betriebsverfassungsgesetz - Wahlschutz und Wahlkosten

Rechtliche Grundlagen

§ 20 Betriebsverfassungsgesetz - Wahlschutz und Wahlkosten

§ 20 Betriebsverfassungsgesetz

Wahlschutz und Wahlkosten

(1) Niemand darf die Wahl des Betriebsrats behindern. Insbesondere darf kein Arbeitnehmer in der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränkt werden.
(2) Niemand darf die Wahl des Betriebsrats durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen.
(3) Die Kosten der Wahl trägt der Arbeitgeber. Versäumnis von Arbeitszeit, die zur Ausübung des Wahlrechts, zur Betätigung im Wahlvorstand oder zur Tätigkeit als Vermittler (§ 18a) erforderlich ist, berechtigt den Arbeitgeber nicht zur Minderung des Arbeitsentgelts.