Gebäude des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (und des Arbeitsgerichts Essen) in Essen-Rüttenscheid (Quelle: LSG NRW)
Gebäude des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (und des Arbeitsgerichts Essen) in Essen-Rüttenscheid (Quelle: LSG NRW)

In einer grundlegenden Entscheidung kam das Landessozialgericht NRW zu dem Ergebnis, dass es sich bei Pflegekräften, die auf einer Intensivpflegstation eingesetzt werden, nicht um Selbständige, also sozialversicherungsfreie, Pflegekräfte handelt. Ihre Tätigkeit ist vielmehr eine abhängige und damit sozialversicherungspflichtig.


Einsatz „freier“ Pflegekräfte nimmt zu


In einem stetig wachsenden Umfang werden in deutschen Krankenhäusern Belastungsspitzen im Pflegebereich durch den Einsatz "freier", vermeintlich auf selbständiger Basis arbeitender Pflegekräfte aufgefangen.

In dem vom LSG NRW entschiedenen Streitfall klagte ein 39jähriger Krankenpfleger, der auf der Basis von sogenannten Dienstleistungsverträgen in den Intensivstationen verschiedener Krankenhäuser tätig wird.

Um der Versicherungspflicht zu entgehen, hatte er bei der Deutschen Rentenversicherung Bund die Feststellung beantragt, dass er diese Arbeit als Selbständiger verrichte und daher nicht der Versicherungspflicht in der Sozialversicherung unterliege.

Erhebliche eigene Entscheidungsfreiheit der Pflegkräfte ?


Unter anderem trug er, im Einklang mit der zum Verfahren beigeladenen Klinik, vor, dass er sich die Patienten, die er auf der Intensivstation pflege, unabhängig von der ärztlichen Leitung, der Pflegedienst- oder der Stationsleitung selbst aussuchen könne. Im Übrigen unterliege er auch sonst in geringerem Maße als angestellte Pflegekräfte ärztlichen Weisungen. Bei seiner Arbeit halte er sich nicht an die individuellen Qualitätsstandards  der Klinik, sondern an nationale Expertenstandards.

LSG: Pflegekräfte unterliegen in entscheidenden Punkten ärztlichen Vorgaben

Das LSG NRW folgte den im „Gleichklang“ vorgetragenen Ausführungen des „selbständigen“ Intensivpflegers und des Krankenhaustreibers nicht und kam zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen einer abhängigen, zur Sozialversicherung führenden Beschäftigung als gegeben anzunehmen sind.


Ausschlaggebend hierfür, so die LSG Richter, sei die vollständige Eingliederung des Klägers in die organisatorischen Abläufe der Intensivstation, die am Wohl der schwerstkranken Patienten als oberstem Gebot orientiert sein müssten und daher in allen entscheidenden Punkten ärztlichen Vorgaben unterlägen. Die in diesem engen Rahmen möglicherweise gegenüber angestellten Pflegekräften etwas größeren Freiheiten des Klägers reichten nicht aus, von weitgehender Weisungsfreiheit auszugehen, wie sie typisch für einen selbständigen Unternehmer sei. Da der Kläger darüber hinaus nach geleisteten Stunden bezahlt werde, trage er auch kein unternehmertypisches wirtschaftliches Risiko.

Die Revision zum Bundessozialgericht wurde durch das LSG nicht zugelassen.

Anmerkung:

Selbstständige Pflegetätigkeit im Krankenhaus absurd – Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen strafbewehrt -

Die Entscheidung des LSG NRW ist begrüßenswert. Die Argumentation des Klägers und des Krankenhausträgers erscheint absurd. Gerade auf Intensivpflegestationen kann es schlechthin nicht richtig sein, dass eine Pflegekraft in selbstständiger Weise pflegerische Aufgaben versieht. Um es auf den Nenner zu bringen: Der Versuch, den Kläger als Selbständigen durch die DRV anerkannt zu bekommen, diente einzig und allein dem Zweck keine Sozialabgaben zahlen zu müssen.

Bei der vom LSG NRW entschiedenen Sache handelt es sich nach Auffassung des Autors um einen Fall der sog. Scheinselbstständigkeit. Hiervon ist dann auszugehen, wenn eine Person für ein Unternehmen Dienst- bzw. Werkvertragsleistungen erbringt und die tatsächliche Ausgestaltung der Beschäftigung jedoch einem Arbeitsverhältnis entspricht. Hiervon ist nach Feststellungen des LSG auszugehen. Arbeitgeber, die Scheinselbstständige beschäftigen, also hierdurch keine Beiträge zur Sozialversicherung und auch keine Lohnsteuer abführen, begehen letztendlich eine Straftat im Sinne des § 266a Abs. 1 StGB. Überdies stehen einem Arbeitgeber erhebliche Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen ins Haus.

Der Arbeitgeber hat ge¬genüber dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf den hälftig von ihm aufzubringenden Arbeitnehmeranteil am Sozialversicherungsbeitrag. Dies jedoch nur dann, wenn das Arbeitsverhältnis noch besteht. Eine Zahlungspflicht des Arbeitnehmers scheidet jedoch aus wenn das Arbeitsverhältnis nicht mehr besteht. In diesem Fall sollte sich der Arbeitnehmer, den nachträgliche Zahlungsaufforderungen seines Arbeitgebers erreichen, darauf berufen, dass derartige Forderungen rechtlich ausgeschlossen bzw. vom Gesetz nicht gedeckt sind. Im Übrigen darf ein infolge der Scheinselbstständigkeit unterbliebener Abzug von Arbeitnehmeranteilen für die Sozialversicherung nur bei den nächsten drei Lohn- oder Gehaltszahlungen vorgenommen werden (§28g SGB IV). Darüber hinausgehende und vom Arbeitgeber begehrte Ansprüche muss der Arbeitnehmer nicht ausgleichen.

Anders als bei den Sozialversicherungsbeiträgen, die allein der Arbeitgeber schuldet, liegt der Fall bei der Lohnsteuer. Denn bei der Lohnsteuer haftet neben dem Arbeitgeber auch der Arbeitnehmer selbst für die Steuerschuld. Das Finanzamt hat nach pflichtgemäßem Ermes-sen zu entscheiden, an wen es sich wendet (§ 42d Abs.3 Satz 1 und 2 EStG).

Wird aufgedeckt, dass der Scheinselbstständige in Wahrheit Arbeitnehmer ist, kann das Fi-nanzamt ausstehende Lohnsteuern einfordern. Da der Arbeitgeber nicht selbst Schuldner der Lohnsteuer ist, sondern nur zu deren "Überbringung" verpflichtet ist, kommt auch ein Rückforderungsanspruch gegen den Arbeitnehmer in Betracht. Dieses Problem wird den Arbeitgeber jedoch nur dann treffen, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen seiner Scheinselbstständigkeit keine Steuern abgeführt hat und sich als nicht leistungsfähig erweist.